Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
als stark. Am Abend vor unserer Hochzeitsfeier hatte Felix mit seinen Freunden in unserer Wohnung ein Zechgelage. Ich war nicht zu Hause, denn meine alte Reitlehrerin aus Frankfurter Zeiten erlitt auf dem Hof meiner Schwiegereltern einen Schlaganfall, und so verbrachte ich die halbe Nacht im Krankenhaus. Erschöpft und traurig kam ich nach Hause zurück. Die Küche glich einem Saustall.
Felix lallte: »Unnnn? Was sshattssse nu die Aldeeee?« Die Männer prusteten vor Lachen.
Reste von Bratkartoffeln und Spiegelei lagen auf dem Boden, Fettspritzer zierten meinen Herd, die Anrichte und den Küchentisch. Ketchup war auf fettigen Tellern und zum Teil daneben gelandet, leere Bierflaschen bedeckten den Tisch, und niemand von der Herrengesellschaft zeigte auch nur die geringste Lust, den heimeligen Ort dieses Zechgelages zu verlassen.
Binnen drei Komma sieben Sekunden war ich auf hundertachtzig.
»Sofort raus hier!«, zischte ich. Mein bitterböses Gesicht sorgte dafür, dass die Männer schleunigst das Weite suchten. Ich tobte los.
Felix nuschelte etwas wie »Schgeh jetsss insss beddd« und wankte in Richtung Schlafzimmertür.
Wie eine Furie baute ich mich vor ihm auf. »Du hilfst mir gefälligst!«, schrie ich ihn an. Aber es war sowieso zwecklos. Der Kerl war viel zu voll, als dass er auch nur einen Handschlag hätte erledigen können. Also ließ ich meiner Wut freien Lauf und keifte vor mich hin. Ein mächtiger Tritt vor die Spülmaschine ruinierte die untere Tellerablage, aber der Tritt hatte richtig gut getan. Danach klingelte es an unserer Haustür. Der trinkfreudige Sohn des Vermieters schnauzte mich an, dass jetzt mal langsam Ruhe einkehren müsse, er würde sonst die Polizei rufen.
Ich motzte zurück: »Jawoll! Und wenn Sie das nächste Mal Ihre Frau verprügeln, dann rufen wir die Kollegen auch an, einverstanden?«
Kommentarlos ergriff der Kerl die Flucht.
Nie wieder würde er bei mir anklingeln und um Ruhe bitten. Dessen konnte ich mir nun sicher sein.
In meiner Wut beschloss ich, am nächsten Tag nicht zu heiraten. Ich stellte mir belustigt vor, wie Felix mit seinem Freund am Altar stand, die Kirche übervoll, und keine Braut weit und breit. Verlegenes Gestammel. Ein Raunen in der Gästeschar. Felix voller Scham zu Boden blickend. Dieser Gedanke besänftigte mich, und ich fiel um halb fünf Uhr morgens, elf Stunden vor meiner kirchlichen Trauung müde ins Bett. Als ich gegen zehn Uhr aufwachte, war Felix bereits weg. Er musste seinen Eltern helfen: Dixie-Toiletten wurden angeliefert, die Halle wurde geschmückt und so weiter. Kurz nach Mittag stand Silke parat. Sie half mir beim Ankleiden, und die Nervosität machte sich allmählich breit. Vergessen war der nächtliche Streit. Die Vorfreude eroberte mein Herz.
Mein Schwiegervater ist der liebenswerteste Mensch, wenn er seine Gefühle nicht mehr verbergen kann. Als er in unserer Wohnung nervös auf und ab rannte, standen ihm Freude und Stolz deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Mach hinne!«, trieb er mich an. »Die warten alle schon. In der Kirche ist die Hölle los.«
Ich fühlte mich geliebt und wohlbehütet. In Ermangelung eines eigenen würdigen Vaters würde mich mein Schwiegerpapa zum Altar führen. In diesem Augenblick spürte ich es ganz deutlich: Ich gehörte zu DIESER Familie. Ich war eine Birkhoff, eine von ihnen.
Mein Schwiegervater sah umwerfend aus. Ein schöner Mann. Ein großer Mann. So wie mein Felix. Mutti hatte ein gekonntes Händchen für seine Garderobe. Meine Schwiegereltern gaben sich die allergrößte Mühe mit unserer Hochzeit. Und ich dankte es ihnen.
Die Kirche platzte aus allen Nähten. Mein Herz schlug hoch. Felixʼ Vater hatte seinen Arm fest um meinen gelegt. Das strahlte Sicherheit aus. Das tat gut. In der Masse der Menschen entdeckte ich die Gesichter meiner Freunde. Sie waren alle gekommen. Aus Frankfurt, aus Hannover, aus dem Harz, aus Aachen, aus Viersen, aus Essen, aus Düsseldorf, aus München, aus Papenburg ... Sie waren wirklich ALLE da, und alle strahlten mich an. Alle freuten sich mit mir. Alle waren mit mir aufgeregt. Alle feierten diesen Tag mit mir. Oma lag im Sarg. Mama, Papa und Jürgen gab es nicht mehr. Für mich waren sie gestorben. Da war er wieder. Der feste Griff meines Schwiegerpapas, dem zeitgleich mit mir die Tränen in die Augen schossen und der zeitgleich mit mir um Fassung rang. Ich war hier und heute. Wild entschlossen, diesen Tag zu genießen. Würdevoll schritten wir zum Hochzeitsmarsch
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