Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Leben ist teuer. Ich wusste das bereits seit meinem zwölften Lebensjahr. Seit dem Tag, als ich Bierkästen stapelte und Gemüsekisten mit Blumenkohl wuchtete. Mein Leben und Arbeiten waren ausschließlich darauf ausgerichtet, den Alltag und die Passion Reiten zu finanzieren. Felix hatte gespart. Felix hatte Eltern, die ihn unterstützten. All das, wofür ich mein Geld ausgeben musste, stand ihm gratis zur Verfügung. Er war so aufgewachsen, und unsere Diskussionen wurden daher von zwei gänzlich unterschiedlichen Blickrichtungen aus geführt.
Mein Mann nervte mich in dieser Zeit so lange, bis ich letztlich auch unserer Putzfrau Adieu sagte. Als wir noch kein Kind hatten, beide arbeiteten und auf sechzig Quadratmeter wohnten, hatten wir unsere portugiesische Perle von Freunden empfohlen bekommen, und einmal pro Woche nahm sie uns den leidigen Haushalt ab und bügelte die Wäsche. Wir hatten so viel gestritten über das Thema Haushalt, dass diese Lösung die beste für uns war. Unabhängig von unserer Putzfrau schrubbte ich natürlich weiter. Hatte sie gerade alles auf Vordermann gebracht, so sah es, zumindest in meinen Augen, bereits einen Tag später wieder chaotisch aus. In mir herrschte Chaos, aber sicherlich nicht in unserer Wohnung. Ich hatte einen Putzfimmel, und der wuchs so langsam, aber sicher in Richtung Zwangsneurose.
Nun lebten wir auf über hundertzwanzig Quadratmetern, hatten Mia, unsere Arbeit und nun wieder den Haushalt am Bein. Ich war von Felix enttäuscht. Er sollte seinen Teil dazu beitragen, und alles, was ich zu hören bekam, war das Gejammer meiner Schwiegermutter, dass »ihr Junge« das nicht schaffen würde. »Du bist zu dämlich, um ein Loch in den Schnee zu pinkeln!« Verächtlich trat meine Mutter gegen den Putzeimer. Ich kniete auf dem lindfarbenen Wohnzimmerboden und mühte mich mit Flecken ab. »Du musst den Schwamm SO halten und nicht SO.« Gedankenverloren strich meine Mutter über die Türrahmen. »Beeil dich! Die Türrahmen warten auf dich. Von alleine siehst du wohl gar nichts, he? Das sieht doch ein Blinder, dass die ʼs mal wieder nötig haben. Ich muss jetzt los.« Die Tür fiel ins Schloss, und Hund und Mutter verschwanden. Sie traf sich mit einer Freundin, die ebenfalls einen Hund hatte. Wenn ich fertig war, müsste ich noch zu Jürgen in die Firma. Jürgen war ungeduldig. Das letzte Mal war schon über eine Woche her ...« Meine Putzneurose nahm abenteuerliche Formen an. Jeden Morgen stand ich um halb sieben parat, unabhängig davon, ob ich Spätdienst oder Nachtdienst hatte, bereitete das Frühstück, machte Mia fertig und wartete während des Frühstücks schon darauf, dass Felix die Wohnung endlich verlassen würde. Ich räumte den Tisch ab, parkte Mia vor dem Fernseher mit den Teletubbies und begann. Jeden gottverdammten Tag saugte ich die Wohnung, wischte den Boden, putzte den nicht vorhandenen Staub weg, schrubbte das Badezimmer, polierte die Armaturen usw. ... Unsere Betten sahen aus wie mit dem Lineal gezogen, nicht ein Zettelchen lag auf der Küchenanrichte, die Fenster stets blitzblank, der Hausflur wie geleckt, die Wäsche im Schrank perfekt gefaltet und gebügelt und die Konserven nach Inhalt und Verfallsdatum ordentlich sortiert.
»Du musst lernen, ein ordentlicher Mensch zu werden. So geht das nicht weiter.« Jürgen schüttelte mit seinem »Da-binich-aber-enttäuscht«-Blick den Kopf. »Du weißt doch, wie die Mami ist. Warum provozierst du sie dann noch? Ich kann doch nicht ständig aus dem Büro kommen, nur weil ihr beiden euch die Köpfe einschlagt. Versprich mir das, Christine. Hand drauf. Ab heute wirst du ein ordentlicher Mensch, ja?«
Verheult reichte ich Jürgen die Hand. Ich war zwölf Jahre alt, und Jürgen beschützte mich vor meiner Mutter. Wäre er nicht gekommen, hätte sie mich womöglich totgeschlagen. Jürgen war lieb. Jürgen hatte mich lieb. Ich hatte Jürgen lieb. Ich wollte ein braves Mädchen sein. Ordentlich eben.
Ich saß am Küchentisch und rauchte eine Zigarette. Schon wieder überfiel mich eine innere Unruhe. Ich durfte nicht herumsitzen. Mia schrie schon wieder. Keine zwei Stunden konnte sie aushalten. Es war zum Verzweifeln. Und es hörte nicht auf. Ich musste noch zum Einkaufen und das Abendessen kochen. Und die nächste Maschine Wäsche war auch schon wieder fällig. Eben noch alles weggebügelt, da war die Wäschetruhe voll. Es hörte nie auf.
Felix nervte mich. Wenn ich schon diesen Blick sah, den er aufsetzte, wenn ihm
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