Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Christine. Komm doch mal zu mir.« Felix wollte mich umarmen.
Das war zu viel. Das ging nicht. »Fass mich nicht an!«, kreischte ich los.
Ich wusste nicht, wie ich mit Felix noch reden sollte. Er hatte eine Gabe, immer im falschen Moment das Falsche zu sagen und das Falsche zu machen. Oder er sagte einfach gar nichts und machte auch nichts. Unsere Ehe war am Ende. Felix und ich waren gescheitert. Ich hatte mir das alles anders vorgestellt. Die Hoffnung, in eine nette Familie einzuheiraten und mich geborgen zu fühlen, schwand dahin. Felix war ein Muttersöhnchen und kommunikativ einfach unfähig. Und er war ein ausgesprochener Egoist. Und ein Geizhals. Ein richtiger Geizhals. Dass ich mit so einem Mann eine Familie gegründet hatte, war ein Riesenfehler. Mia. Mia sollte in einer richtig schönen und harmonischen Familie aufwachsen. Das hatte ich mir geschworen. Das hatte ich ihr geschworen.
Als wir uns in der neuen Wohnung eingelebt hatten und Pferd Nummer zwei gerade sein Leben gelassen hatte, wusste ich noch nicht, dass es so weitergehen würde. Zum Glück wusste ich das nicht. Ich kämpfte immer noch gegen meinen Absturz und realisierte nicht wirklich und nicht in aller Konsequenz, dass die Schussfahrt ins Verlies schon lange begonnen hatte und unaufhaltsam war.
Das Kind im Verlies lebte. Es starb nicht. Es wartete. Es wartete. Es wartete. Die Wärter weg. Der Drache tot. Die Gefängnistür immer noch zu. Man hatte sie wohl vergessen. Damals. Als die große Schlacht tobte. Als es juchzend voller Freude in seinem Verlies tanzte. Auf Befreiung hoffte. Die große Schlacht. Das war toll gewesen ... Das Mädchen hockte in der Ecke seines dunklen und modrigen Verlieses. Die Arme um die Beine geschlungen. Den Kopf auf die Knie gestützt. Sie würde warten. Sie würde nicht sterben. Auch ohne Nahrung würde sie nicht sterben. Sie würde warten. Weiter warten. Wenn es sein musste, ein Leben lang.
Außer einem guten Psychiater und Therapeuten hätte mir bereits jetzt niemand mehr helfen können. Keiner aus der Familie Birkhoff hätte auch nur ansatzweise ahnen können, welche Mechanismen bei mir in Gang gesetzt worden waren. Neulich sah ich die Domino-Weltmeisterschaften im Fernsehen. Riesige Säle gefüllt mit Millionen kleiner Dominosteinchen. Meine schicksalhafte Talfahrt als Nicht-Fachmann stoppen zu wollen wäre so erfolgreich gewesen wie die Ausrichtung der Domino-Weltmeisterschaften im Auge von Hurricane Caterina. Ich suchte mein Heil in Psychopharmaka. Die halfen ein bisschen. Aber auch nicht richtig. Die Albträume blieben. Die nächtliche Atemnot blieb. Mysteriöse Schmerzen in den Extremitäten. Immer nachts. Ich verstand mich nicht mehr. Felix nicht mehr. Meine Schwiegereltern nicht mehr. Mein Leben nicht mehr. Meine Welt nicht mehr. Die Leere wurde größer und größer. Und Mia wurde immer aggressiver ...
Mia, unser aufgewecktes Mädchen, spürte zu dieser Zeit sehr deutlich, was auch ich spürte und nicht beschreiben konnte. Mias Mutter war präsent. Aber nur als Hülle. Als Fassade. Wenn man als Mutter einem kleinen Menschenwesen Halt und Zuversicht geben möchte, dann muss man diese Attribute in seinem Innersten besitzen.
Mia war jetzt schon in der Phase der Revolte. Zu Hause schrie sie vor Wut und schlug den Kopf auf den Boden. Ihre Zerstörungswut kannte keine Grenzen und machte auch vor sich selbst nicht Halt. Immer wieder nahm ich Mia mit in den Stall und setzte sie auf einen Isländer, der uns von Einstellern für unsere Ausritte zur Verfügung gestellt worden war. Es war meine einzige Chance, meiner Tochter und mir Stunden der Harmonie, der schönen Zweisamkeit und Geborgenheit zu verschaffen. Mein Schwiegervater erklärte mich für »bekloppt« und half uns, stur wie er war, nicht ein einziges Mal auf das Pony rauf. Mia konnte noch nicht allein auf dem Isländer sitzen, und es waren andere Leute vom Hof, die mir die Kleine anreichten, wenn ich schon oben saß.
Wir flüchteten vor dem Alltag. Mia und ich erkundeten auf dem Rücken des Ponys die Natur und die Landschaft. Sie saß vor mir auf dem Pferdchen, lehnte sich an meinem Bauch an und spürte die Kraft und die Festigkeit meiner Hand an ihrer kleinen Taille. Das war es, was uns immer wieder rettete: gegenseitiges Vertrauen und die Möglichkeit für Mia, immer wieder festzustellen, dass Mama stark war. Manchmal jedenfalls. Im Alltag hatte sie genug Grund, an meiner Stärke zu zweifeln. Auch bei diesen Ausritten kam mir wieder meine
Weitere Kostenlose Bücher