Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Schausteller, der auch Ponyreiten und Fahrten in Ponykutschen anbot. Wandlers Ponykutschen wurden elektrisch betrieben, und die Ponys mussten den ganzen Tag im Kreis laufen, ob sie wollten oder nicht. Ich war mir sicher, dass Victor und Hector erblinden würden, und ich fing bitterlich an zu weinen. Im Geiste sah ich mich mit Victor durch die Wälder reiten. Ich liebte Victor über alles. Er war ein unglaublich braves Pony mit einem Rücken, das einem bequemen Sofa glich, und er liebte es, im rasanten Galopp über die Wiesen zu preschen. An Victors langer flachsfarbener Mähne konnte man sich hervorragend festhalten, und für mich war Victor der schönste Ponyhengst auf der ganzen Welt. Verkauft. Aus und vorbei ... Ich radelte zurück in die Stadt und klagte meiner Oma mein Leid. Auch ihr war der Name Wandler ein Begriff.
Einige Wochen später erzählte mir meine Oma, dass die Weihnachtskirmes aufgebaut sei und sie einen Stand gesehen habe, an dem Ponys Kutschen ziehen würden. Gemeinsam ging ich mit ihr zur Kirmes. Und richtig. Schon aus der Ferne sah ich zwei kleine Grauschimmel-Ponys. Ich lief auf die Kutschen zu und rief: »Victor! Victor!«
Kurz riss Victor sein hübsches Köpfchen hoch, da ertönte auch schon das laute Tuten, die Kutsche ruckte, und die Deichsel versetzte Victor einen Stoß in die Hacken. Runde für Runde trotteten die Ponys mit hängenden Köpfen über das Sägemehl. Es war entsetzlich laut, die Musik dröhnte von allen Seiten, die Menschen johlten, und Kinder quietschten vor Vergnügen. Keiner dieser Besucher konnte erahnen, wie stolz Victor noch vor wenigen Wochen mit mir durch die Natur galoppiert war. Er und Hector hatten aufgegeben. Sie hatten sich dem Schicksal fügen müssen, und ich fühlte mit ihnen.
Schluchzend ging ich mit meiner Oma zurück nach Hause. Sie kochte mir eine heiße Schokolade und hörte sich stundenlang meine Geschichten von Victor und Hector an. In ihren Augen sah ich Tränen des Mitgefühls. Wie gern hätte sie mir geholfen.
In der Schule erzählte mir Anka am nächsten Tag, dass ihre Mutter sie in der Reitschule Körber angemeldet hätte. Ich sollte doch mitkommen, denn dort wären viele große Pferde. Nachmittags gäbe Herr Körber, der Reitlehrer, Unterricht. Oma fand diese Idee großartig, und nach dem Mittagessen radelten Anka und ich durch den Schnee zur Reitschule. Anka hatte bereits ein Lieblingspferd. Larissa war eine hellbraune Stute und ging mit uns Kindern ganz sanft und vorsichtig um. Überall in der Stallgasse wimmelte es nur so von kleinen Reitschülerinnen, und viele waren professionell angezogen. Wir entdeckten zwei weitere Mädchen aus unserer Klasse. Dorothea und Angela. Doro hatte ihr Herz an einen großen, mageren Falben verschenkt.
»Igor bekommt so viel zu fressen, aber er will einfach nicht dicker werden. Herr Körber setzt ihn nur noch die zwei Stunden im Kinderunterricht ein, um Igor zu schonen. Ich habe ihn jetzt als Pflegepferd«, sprudelte es aus Doro heraus.
Ein Pflegepferd! Ich wollte auch unbedingt ein Pflegepferd haben! Angela hantierte an einem riesigen und mächtigen Fuchs herum. »Das ist Amigo«, klärte sie mich auf. »Amigo ist erst fünf, und Herr Körber hat gesagt, dass ich die Einzige bin, die ihn im Kinderunterricht reiten darf, weil er bei mir so gut geht.« Angela platzte vor Stolz, und ich konnte sie gut verstehen. Es musste ein tolles Gefühl sein, ein solch großes Pferd reiten zu können! Und Herr Körber schien eine Autorität zu sein, das konnte man heraushören, wenn die Reitschülerinnen von ihm sprachen.
Ich schlenderte von Box zu Box und bewunderte zwei bildschöne pechschwarze Pferde. »Esprit« und »Siesta« war auf den Boxenschildern zu lesen. Und dann trafen mich zwei große schwarze Augen mitten ins Herz. Ein knubbeliger Grauschimmel schaute mich neugierig an. Mein Herz schlug schneller, und ich war mir sicher, MEIN Pferd gefunden zu haben. Das Pferd hieß Flip, war mittelgroß und kräftig und hatte einen Hals, fast so mächtig wie der eines Hengstes. Vorsichtig öffnete ich die Boxentür, und weiche rosafarbene Nüstern streckten sich mir entgegen. Flip sah aus wie der große Bruder von Victor. Sein breiter Rücken lud förmlich zum Reiten ein, und sein kräftiger Körper zeugte von großer Robustheit.
»Hey! Du da!«, schnauzte mich plötzlich ein blondes Mädchen an. »Lass gefälligst den Flip in Ruhe. In der Box hast du nichts zu suchen. Der Flip ist MEIN Pflegepferd!« Mit diesen Worten
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