Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
ja?«
Um fünf vor sieben, als alle anderen Geschäfte schon längst geschlossen hatten, stiefelten wir mit den Riesentüten zurück zum Auto. Zu Hause entdeckte ich dann, dass keiner dieser Pullover unter hundertfünfzig Mark kostete und sie von Marken wie Lacoste, Boss oder Aigner waren. Meine Ergee-Strumpfhosen kosteten damals stolze acht Mark, und schnell hatte ich ausgerechnet, dass ein einziger dieser Pullover den Gegenwert von siebzehneinhalb Strumpfhosen hatte. Ich staunte nicht schlecht über meine Entdeckung. Oma sparte sich alles vom Munde ab, weil ich unbedingt eine Wrangler haben wollte, die schlappe neununddreißig Mark kosten sollte. Ein Pullover gleich dreieinhalb Jeans ... Auch das, so beschloss ich, würde ich Oma morgen erzählen.
Als ich am Ende dieses unglaublich mies gelaufenen Tages in meinem Bett lag, fühlte ich mich hundeelend. Ich hatte so sehr gehofft, dass sich mein Leben zum Guten wenden würde, und ich hatte beim besten Willen keine Lösung für mein sich abzeichnendes Problem parat. Wenn schon dieser erste Tag mit unserem neuen Mitbewohner Jürgen Karnasch ein solches Desaster war, was würde mich dann erst in Zukunft erwarten?
Auch Oma wusste sich, als ich am nächsten Mittag an ihrem Küchentisch saß, keinen Rat. »Kind«, seufzte sie schwer, »deine Mutter beruhigt sich hoffentlich bald wieder. Und diesem Jürgen kann das doch so auch nicht recht sein.«
Es tat so gut, bei Oma zu sitzen und einfach nichts tun zu müssen. Schweren Herzens machte ich mich auf den Weg zur Südstraße. Ich sah noch einmal die ungläubigen Gesichter meiner Freundinnen vor mir. Die Mädels hatten in der Pause auf dem Schulhof den Mund nicht mehr zugekriegt. Sie starrten mich bei meinen Erzählungen an, als sei ich von einem anderen Stern. Gitta fragte mich entgeistert: »Und das hast du alles mitgemacht?«
»Was soll ich denn sonst machen?«, hatte ich weinerlich geantwortet.
»Ich würde einfach streiken und mich weigern, das Hausmädchen zu spielen«, riet mir Dana, und Anka fügte hinzu: »Meine Mutter hat eine Putzfrau, die hat nämlich selber auch keine Lust, den ganzen Tag das Haus zu schrubben!«
Der Mädchenrat hatte beschlossen, es mit einer glatten Arbeitsverweigerung zu versuchen, um dann irgendwie einen Kompromiss herauszuhandeln. Unsere Logik war einfach: Würde ich fortan keinen einzigen Finger mehr krumm machen, würde meine Mutter sicherlich schnell begreifen, dass sie auf meine Hilfe angewiesen sei, und sich dann ganz bestimmt auf einen Deal einlassen. Mein Ziel sollte sein, bestimmte festgeschriebene Aufgaben zu übernehmen und dafür ein bestimmtes Freizeitkontingent zur Verfügung zu haben. Hörte sich alles ziemlich einfach an. Ich musste es nur noch in die Praxis umsetzen ...
Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Wohnungstür. Tag zwei würde nun anders laufen. Meine Mutter saß auf dem Sofa und strickte an einem gelben Angorapulli. Der Frühstückstisch war noch nicht abgeräumt, und Eigelbreste von Jürgens matschigem Frühstücksei klebten an seinem Teller und seiner Kaffeetasse.
»Mach voran«, raunzte mich meine Mutter zur Begrüßung an. »Jürgen ist in einer Stunde zum Mittagessen hier!«
Ich warf meine Schultasche auf mein Bett und machte mich daran, den Tisch abzuräumen. Vielleicht war ja der gestrige Tag nur ein anfänglicher Ausrutscher gewesen, und ich beschloss, erst einmal nichts zu sagen und abzuwarten. Nachdem ich fertig war, deckte ich den Tisch fürs Mittagessen. Gleichzeitig versorgte ich den Mülleimer mit einem frischen Müllbeutel, brachte den vollen zur Mülltonne und bereitete die Kaffeemaschine vor, sodass man später nur noch auf den Knopf zu drücken brauchte. Ich legte einen kleinen Teller bereit und die Plätzchenpackung direkt daneben. Mein Blick wanderte durch die Räume. Alles schien bestens zu sein. Ich verzog mich in mein Zimmer und packte meine Schulsachen auf den Schreibtisch. Nichts könnte doch normaler sein, als bis zum Mittagessen mit den Schulaufgaben zu beginnen. Anka machte das so, Carla machte das so, Dana machte das so, und Gitta machte das auch so. Warum also nicht auch ich, Christine Al-Farziz?
»Christine!«, ertönte es aus dem Wohnzimmer. »Christine, verdammt noch mal!«
»Jaaaa!«, rief ich entnervt zurück.
»Ja sag mal, hast du sie noch alle? Komm gefälligst ins Wohnzimmer, wenn ich mit dir reden will!«, brüllte meine Mutter gereizt.
Ich ging ins Wohnzimmer
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