Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Zorn an den Kalkflecken auf den Armaturen aus. Meine Seele rebellierte. Konnte ich mich gerade noch damit abfinden, dass ums Jückele binnen zwei Stunden mehr Gehabe gemacht wurde als um mich während meiner gesamten zwölfjährigen Existenz, dann war das Gefühl, die Putzfrau der Nation zu sein, schier unerträglich für mich.
Jürgen kam um halb vier und entschuldigte sich überschwänglich für seine Verspätung. Er habe noch Termine gehabt und hätte noch schnell nach Bergkamen gemusst.
»Ach Jürgen«, sülzte meine völlig entspannt wirkende Mutter, »das ist doch überhaupt kein Problem. Setz dich erst mal, damit du zur Ruhe kommst.«
Ich hielt den Zeitpunkt für geeignet, mich diskret zu verabschieden und schleunigst aus dem Staub zu machen. »Ich bin mit Dana und Gitta im Dolomiti verabredet. Ich muss los. Bis später dann«, sagte ich betont fröhlich.
Jürgen und meine Mutter starrten mich entgeistert an.
»Aber Christine«, säuselte Jürgen, »du hast doch noch gar nichts gegessen. Lass uns doch wenigstens gemeinsam zu Mittag essen. Deine Mami hat sich doch solche Mühe gemacht!«
MAMI? Ich hatte keine »Mami«, und mir war der Appetit wahrlich vergangen. Ich war verabredet, verdammt noch mal, und Jürgen war gerade in Begriff, meinen Tag völlig zu ruinieren. »Ich bin verabredet«, brach es in vorwurfsvollem Ton aus mir heraus.
Jürgen sah mich erschüttert an, und meine Mutter warf mir böse Blicke zu.
»Ich glaube«, fuhr Jürgen fort, »wir müssen uns mal unterhalten.«
In mir tobte ein gewaltiger Sturm. Wenn mein Vater auf mich eindrosch, dann wusste ich wenigstens, dass irgendwann der Zeitpunkt gekommen war, wo es hieß: Ende der Vorstellung. Jetzt, so spürte ich, war es eine Never-Ending-Story geworden. Ich setzte mich wütend an den Tisch.
Jürgen erzählte mit übertrieben besorgter Stimme, dass er Gitta heute morgen gesehen habe und wirklich entsetzt gewesen sei, wie schlampig sie ausgesehen habe. Den Blick auf den Boden gerichtet, sei sie zur Schule geschlichen, und er sei der festen Überzeugung, dass Gitta Drogen nehmen würde. Überhaupt sei der Umgang mit diesem Mädchen nicht gut für mich. Fortan nannte er Gitta nur noch »die Hasch-Gitta«, und Jürgen ließ auch in Zukunft keine Gelegenheit aus, sämtliche Freundinnen von mir in den Dreck zu ziehen. Meiner Mutter hielt Jürgen dann eine Predigt: Es würde Zeit, so sinnierte er, dass sie sich endlich um mich kümmern solle, sonst sei der Weg ins sichere Verderben vorprogrammiert. Und bestimmt fände auch ich es toll, wenn Mami mich sinnvoll beschäftigen würde. Dieses Rumgehänge in der Stadt würde doch ohnehin nur dazu führen, dass wir »den Jungs auf die Hose schauten«, und diese Kerle seien doch alle vom selben Schlag und warteten nur darauf, eine von uns zu »knallen«.
Mir wurde speiübel.
Meine Mutter nickte beifällig. »Hol den Nachtisch, Christine, und nimm auf dem Weg gleich unsere Teller mit in die Küche«, sagte sie betont freundlich.
Als ich die Dany+Sahne-Pöttchen auf den Tisch stellte, verzog Jürgen das Gesicht. »Gundis«, fing er an, »Gundis, es tut mir schrecklich leid, aber ich mag keine Fertigpuddings. Meine Mutter macht immer Pudding, der gekocht wird, weißt du, dieser Pudding, der hinterher eine so schöne Haut obendrauf hat.«
Meine Mutter schien vor Scham im Boden zu versinken.
Mir wurde schon wieder übel.
Schon als Kind hasste ich es, wenn meine Mutter es nicht fertigbrachte, eine heiße Schokolade zuzubereiten, OHNE dass diese widerliche Haut obendrauf war. Und jetzt würden wir in Zukunft wohl täglich den Jückele-Pudding kochen ...
»Machst du morgen wieder das Frühstück?«, fragte Jürgen mit tiefer, ruhiger Stimme und riss mich aus meinen Schoko-Haut-Erinnerungen. »Wenn ja, würdest du mir einen Riesengefallen tun, wenn du mir ein Ei kochen könntest. Genau drei Minuten lang, damit das Ei nicht fest wird, ja? Ich verlasse mich da auf dich. Du bist ja ein cleveres Mädchen, stimmtʼs?«
Mir reichte es endgültig. Ich hatte wirklich genug gehört. Es war mittlerweile halb fünf, und wenn ich mich beeilen würde, dann erwischte ich die Mädels vielleicht noch im Dolomiti.
»Ne, ne, ne, ne, ne«, rief meine Mutter, »wo willst du denn jetzt hin? Wir müssen noch einkaufen, Jürgens Hose in die Reinigung bringen, die Küche muss noch aufgeräumt werden, und außerdem wollte ich mit dir noch zum Herrenausstatter, weil Jürgen neue Pullover braucht.« Mit diesen Worten drückte
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