Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
gegenüber einen Konkurrenzneid, den ich mit meinen fast vierzehn Jahren nicht verstehen konnte. Mit Dana hatte ich mir in der Stadt beim Juwelier Ohrlöcher stechen lassen und kam voller Stolz mit meinen goldenen Steifftier-Knöpfen nach Hause.
»Du bist ja völlig durchgedreht!«, schrie meine Mutter los und bezeichnete mich als »Zumutung« und »Flittchen«. Aus diesem Streit entwickelte sich wieder ein filmreifer Kampf, der erst von Jürgen beendet wurde, als er nach Hause kam.
»Aber Gundis«, säuselte er, »die sind doch niedlich, die Ohrringe von Christine.« Innerlich triumphierte ich über diesen unerwarteten Rückhalt, und ich wusste, dass meine Ohrringe fortan kein Thema mehr sein würden.
Einige Tage später besuchte ich mit Carla und ihrer Mutter einen italienischen Friseur in unserer Stadt. Meine Mutter hatte mich losgeschickt, weil ihr mein immer zotteliger werdender Wuschelkopf nicht passte. Seit ich denken konnte, hatte ich einen Jungenhaarschnitt, der von einem Herrenfriseur regelmäßig kurz gehalten wurde. So hatte meine Mutter auch keine Ahnung, dass ich nicht wie gewohnt zu dem üblichen Friseur ging, sondern stattdessen Il Figaro aufsuchte. Carla hatte wunderschöne lange Haare und wurde von Raphael, dem Ladeninhaber, stets persönlich beraten. Raphael war ein Meister seines Fachs, das sah man bei Carla und ihrer Mutter deutlich. So fuhr er mit seinen Fingern durch meine schwarzbraunen Haare und fragte dann: »Willst du wirklich einen Kurzhaarschnitt haben? Du hast doch wunderschöne Haare und solltest sie länger wachsen lassen. Mit einem Kurzhaarschnitt siehst du doch aus wie ein Junge!«
Raphael trat offene Türen bei mir ein. Seit Jahren nervte es mich, dass ich ständig für einen Jungen gehalten wurde, und seit Ewigkeiten träumte ich von langen Locken. Raphael versprach, mir einen Übergangshaarschnitt zu verpassen, damit ich nicht allzu verboten aussehen würde. Meine Haare neigten dazu, zunächst in die Breite zu wachsen, und Raphael erläuterte, dass die Locken eine gewisse Länge benötigten, um später »mein Gesicht zu umspielen«. Als ich nach der Vollendung seines Werks in den Spiegel schaute, war von der ursprünglichen Länge kaum ein Zentimeter gewichen. Dennoch fand ich mich ganz passabel und sah wieder einigermaßen gepflegt aus. Ich zahlte dreimal so viel wie beim Herrenfriseur und verließ überglücklich mit Carla und ihrer Mutter den Salon.
Zu Hause war die Stimmung bereits gereizt. Meine Mutter hatte mich früher zurückerwartet und sich daher eine lange Liste meiner Erledigungen in ihrem Kopf zurechtgelegt. Sie schaute mich nur kurz an, und ich wusste genau, was nun auf mich zukommen würde. Wie eine Furie stürzte sie sich auf mich und riss an meinen sorgsam gestylten Haaren.
»Wer hat dir denn diesen Mist verpasst?«, keifte sie los, und als sie erfuhr, dass ich mit Carla und ihrer Mutter bei Il Figaro gewesen sei und auch Raphael gesagt hatte, ich solle mir die Haare doch lieber lang wachsen lassen, geriet sie in einen Zustand rasender Wut. Wieder einmal ließ ich alle Beschimpfungen und Schläge über mich ergehen, und wieder einmal verstand ich dieses Theater ganz und gar nicht.
Als ich später im Bett lag, weckte mich Jürgen, der von einer Geschäftsreise zurückgekehrt war. Heulend und aufgelöst erzählte ich ihm von dem Streit mit meiner Mutter, und Jürgen bat mich, am nächsten Tag zum Herrenfriseur zu gehen und mit dem alten Kurzhaarschnitt zurückzukommen. Er verstünde meinen Wunsch, so sagte er mitfühlend, aber ich wolle doch auch nicht aussehen wie ein altes Zigeunerweib, und schließlich hätte ich ihm doch versprochen, alles mir Mögliche zum Familienfrieden beizutragen. Das Bild von der Zigeunerfrau beschrieb er an diesem Abend so plastisch, dass ich ihm glaubte und nach dem Gespräch tatsächlich überzeugt war, dass lange dunkle Locken nichts für mich seien. Jürgen nahm mich in den Arm und streichelte mir über meinen Rücken. »Du bist ein wunderhübsches Mädchen, und wenn andere denken, du seiest ein Junge, dann finde ich dich trotzdem hübsch. Merk dir das, ja?« Ich nickte stumm und genoss einfach nur die menschliche und körperliche Wärme. Sosehr mir Jürgen in der Vergangenheit mit seinen Predigten auf den Nerv gegangen war, jetzt war er bei mir, und er war einfach nur lieb. Ihm zum Gefallen, so hatte ich bereits beschlossen, würde ich natürlich gleich morgen zum Friseur gehen und dafür sorgen, dass meine Mutter sich wieder
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