Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
weil diese sich ausschließlich um das Thema Motorrad und Technik drehten. Vielleicht aber war die Konstellation zu fünft auch eine Chance für mich. Ich hoffte, dass sich meine Mutter etwas beherrschen würde und ich in der Masse quasi untergehen würde, weil sie sich dann schließlich auch um Ulf und Martin kümmern müsste. Außerdem, so dachte ich, könnte mir zumindest Ulf beim Einkaufen oder anderen Aufgaben helfen.
Am Samstag war es dann so weit: Jürgen packte uns alle ins Auto und fuhr mit uns in sein neues Haus. Wir standen vor einem großen Bungalow in einer schicken Wohngegend am Ortsrand der Stadt, und schon allein die Hauseingangstür aus bronzefarbenem Metall war imponierend genug. Gespannt warteten wir darauf, wie Jürgen die beiden Schlösser mit modern anmutenden Schlüsseln öffnete und uns in sein neues Reich hereinließ.
»Hier oben«, begann Jürgen mit seiner Besichtigungstour, »hier ist das Wohnzimmer. Riesig, ne? So, und hier ist die Küche, hier noch mal extra ein WC. Ulf, da kannst du dann so lange deine Sitzungen abhalten, wie du willst.«
Ulf grinste verschämt.
»Kommt mit! Hier durch den Flur gehtʼs zum Bad. Toll, oder? Und hier ... Achtung! Aufgepasst! Ulf, hier wird dein Zimmer sein. Martin, du bekommst das Zimmer gleich nebenan, und das Zimmer dazwischen wird das Schlafzimmer von Gundis und mir sein. Naaaa? Was sagt ihr?«
Ulf und Martin standen in ihren Zimmern und waren völlig aus dem Häuschen. Beide Zimmer hatten große Fenster und machten auch ohne Möbel einen behaglichen Eindruck.
Während sich alle in »ihren« Zimmern umschauten, bildete sich auf meiner Stirn ein riesiges Fragezeichen. Alle hatten ihr persönliches Reich, nur von mir war nicht die Rede. Erleichtert stellte ich fest, dass es im Badezimmer keinen Gasboiler gab und das Bad aufgrund der Badewanne keinen Platz für ein Bett bot.
»Soooo«, wandte sich Jürgen auf einmal an mich und lächelte mich freundlich an. »Christine! Du bist doch sicherlich schon gespannt, wo du dein Zimmer haben wirst, oder?«
Ich nickte, und gleichzeitig fiel mir ein Riesenstein vom Herzen. Auf Jürgen war zum Glück Verlass.
Jürgen rief alle zusammen. »Christine wird bald vierzehn, und ich bin der Meinung, dass sie als junges Mädchen sicherlich gern mal ungestört sein möchte, habe ich Recht?«
Und ob dieser Mann Recht hatte, dachte ich. Endlich mal Ruhe und nicht ständig meinen Namen hören, das wäre klasse!
»Dein ganz privater Bereich ist unten im Haus. Da hast du dein eigenes Bad, und niemand nervt dich. Kommt alle mit runter! Das schauen wir uns gemeinsam an.«
Wie die Lemminge liefen wir hinter Jürgen die schmale geflieste Treppe in den Keller hinunter. Vor einer Tür blieb er stehen. »Im Gegensatz zu euren Zimmern, Jungs, ist das Zimmer von Christine bereits vollständig eingerichtet. Ich habe es für viel, viel Geld dem Vorbesitzer des Hauses abgekauft, und er hat sich nur schweren Herzens von dem Inventar getrennt. Das war wirklich ein hartes Stück Arbeit, aber ich habe ihn doch überzeugt. Jetzt hoffe ich natürlich, dass es dir gefällt, Christine.«
»Ich bin sicher, dass es mir gefallen wird«, antwortete ich voller Überzeugung und bettelte: »Jetzt mach doch endlich die Tür auf, Jürgen, ich bin doch sooo gespannt!«
Mit einer galanten Geste öffnete Jürgen die Tür, und für Sekunden waren wir alle sprachlos. Der Raum war mit schwarzem Holz vertäfelt, und der dichte, weiche Teppichboden war blutrot. Schwere dunkelrote Samtvorhänge verdeckten die Sicht auf das eher kläglich wirkende Kellerfenster. Das Größte und Imposanteste in diesem Zimmer stellte jedoch das Bett dar. Mit einer Breite von über zwei Metern war es mit Sicherheit das größte Bett, das ich jemals zuvor gesehen hatte. Es war vollständig aus Plüsch mit Leopardenmuster, verfügte über ein eingebautes Radio im Kopfteil und eine elektrische Fernbedienung, mit der man das Kopf- und Fußteil verstellen konnte. Sämtliche Lichtquellen im Raum bestanden aus Messing, und an den Wänden hingen Mittelseiten aus einem Playboy , von denen mich lüstern dunkelhaarige junge Frauen anschauten.
Mir blieb die Spucke weg. Gedanken und Gefühle wirbelten in mir hin und her, und ich wusste nicht, ob ich weinen oder mich freuen sollte. Sicherlich, das Zimmer war mit Abstand das Auffallendste im gesamten Haus, aber die Vorstellung, in diesem Raum meine zukünftigen Nächte zu verbringen, beängstigte mich. Ich vermisste meine kleine Yucca
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