Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
und überlegte krampfhaft, wo Bobbys Decke Platz finden könnte.
»Die Bilder an den Wänden kannst du natürlich abhängen«, riss mich Jürgen aus meinen Gedanken. »Der Vorbesitzer hat sie aufgehängt, und ich fand sie eigentlich sehr schön, weil sie so ästhetisch sind. Na ja ... aber MEIN Geschmack muss ja nicht DEIN Geschmack sein, stimmtʼs? Was ist Christine? Bist du etwa enttäuscht? Oje, und ich dachte, ich hätte dir eine Freude gemacht!«
»Doch, doch«, stammelte ich unbeholfen, und meine Mutter zischte mir ins Ohr: »Verdammt noch mal, Christine! Du wolltest doch wohl nicht meckern, oder? Jetzt sei doch dankbar, dass Jürgen dir dieses wunderschöne Zimmer gibt.«
Jürgen starrte mich mit seinem »Oh-jetzt-bin-ich-aber-enttäuscht«-Blick an, und irgendetwas bewog mich, meine Lippen endlich zu bewegen.
»Doch, doch, Jürgen. Ich finde es auch wunderschön. Ich bin nur ... so beeindruckt.«
Jürgens Miene erhellte sich. »Dann wirst du erst recht staunen, wenn ich dir dein eigenes Badezimmer zeige. Komm!«
Das Badezimmer war in einem fröhlichen Gelb gekachelt und mit einer Dusche und zwei Waschbecken, einem Bidet und einer Toilette ausgestattet. Die Armaturen funkelten in einem wertvoll aussehenden Gold, und die hochflorigen Badematten mit ihren Goldbiesen strahlten eine vornehme Eleganz aus.
»Das ist ja viel größer als unser Bad«, protestierte meine Mutter lauthals.
»Tja, aber es ist MEIN Badezimmer«, entgegnete ich zickig und stellte mich demonstrativ neben Jürgen.
Jürgen schien mit dem Ergebnis seiner Vorführung sichtlich zufrieden zu sein.
Er lud uns zum Essen ein und erzählte uns beim Griechen, wie er sich das zukünftige Zusammenleben vorstellte. Nach seinen umfangreichen Erläuterungen und Erklärungen war es für uns alle vollkommen nachvollziehbar, dass Ulf und Martin während der Woche bei Margot bleiben sollten, da die Schule in der Nähe war und die Jungs ihre Mutter bräuchten. Was meine Mutter und mich anbelangte, war Jürgen der Meinung, besser kein Öl ins Feuer zu gießen und vorerst in der Eigentumswohnung meiner Mutter zu bleiben. Er befürchtete, dass Margot es zu sehr verärgern könnte, wenn meine Mutter und ich in dieses Haus ziehen würden, und wollte stattdessen abwarten, bis Margot mit einem neuen Lebenspartner ihr eigenes Glück gefunden hatte.
Im Laufe der nächsten Tage sorgte insbesondere diese Entscheidung für ständige Streitgespräche und lange Diskussionen zwischen meiner Mutter und Jürgen. Sie machte ihm eine Szene nach der anderen und wollte nicht einsehen, dass Jürgen es vorzog, taktisch vorzugehen und dafür zu sorgen, dass Margot nicht wütend die Scheidung einreichte. In der Firma beklagte sich Jürgen bei mir, dass meine Mutter dumm sei und einfach nicht begreifen würde, dass er im Falle einer Scheidung bankrott sei. Meine Mutter würde sich an Äußerlichkeiten »aufhängen« und dabei übersehen, dass er diese finanziellen Strapazen mit dem Hauskauf doch nur auf sich genommen hätte, um das Beste aus der Situation zu machen. Jürgen schwatzte mir so lange die Ohren voll, bis ich mich irgendwann in der Position der Tröstenden wiederfand. Ich sprach ihm Mut zu und sagte ihm, dass es schwer sei, mit meiner Mutter in Ruhe zu sprechen, weil sie sofort aus der Haut fuhr und Argumenten gegenüber nicht mehr zugänglich war. Ganz so Unrecht hatte ich damit sicherlich nicht ...
Meine Mutter hatte den Kampf nach einiger Zeit aufgegeben. Stattdessen badete sie fortan abends bei uns zu Hause, instruierte mich, danach unverzüglich die Badewanne zu putzen, weil das Badeöl einen Schmierfilm hinterließ, packte ihre Siebensachen zusammen und verschwand nach Jürgens Telefonanruf gegen einundzwanzig Uhr in Richtung Haus. Bis zu meinem Auszug sollte dieses Ritual bestehen bleiben, sodass ich von meinem vierzehnten bis achtzehnten Lebensjahr während der Woche in der Nacht allein war. Mich störte dieser Umstand nicht im Geringsten. Ich wartete immer sehnsüchtig auf Jürgens Anruf und freute mich, wenn dieser Anruf schon vor zwanzig Uhr kam. Wenn Jürgen rief, war meine Mutter nicht mehr zu halten, und die kurze Zeit der absoluten Ruhe in der Wohnung stellte für mich Urlaub vom Alltag dar. Im Laufe der Jahre entwickelten sich merkwürdige Verhaltensweisen: So musste ich abends, wenn ich nicht bei Jürgen in der Firma arbeitete, frische Erbsensuppe oder Gulaschsuppe zubereiten, damit meine Mutter den Topf mit ins Haus nehmen konnte, um Jürgen zu
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