Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
ihrem großen Krankenbett und hörte stundenlang zu. Sie freute sich, dass ich bei der Lufthansa angestellt war, und hoffte, dass ich auch die Abschlussprüfung in der letzten Januarwoche bestehen würde. Mit Kirsten, einer Mitstreiterin aus dem Lehrgang, und Peter, einem Kollegen aus Graz, mieteten wir gemeinsam eine große Dreizimmerwohnung im Stadtteil Rödelheim an. Zum ersten Februar waren Miete, Kaution und Anschaffungen wie gemeinsame Waschmaschine, Küchengeräte und persönliche Einrichtungsgegenstände fällig. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon ich irgendetwas bezahlen sollte, denn meine Ersparnisse waren für Wintersachen und Lebensunterhalt draufgegangen. Der letzte Rest musste bis zur ersten Gehaltszahlung Ende Februar reichen.
»Geh, sei so gut und hole mir bitte die Geldkassette aus dem Schlafzimmerschrank«, sagte Oma.
Ich wusste, wo ich zu suchen hatte. Unten im Schlafzimmerschrank hinter alten Hutkartons stand eine mahagonifarbene Geldkassette mit allen persönlichen Dokumenten meiner Großmutter.
»Da ist ein Umschlag drin, da steht drauf ›Nach meinem Ableben zu öffnen‹. Hol bitte die Papiere aus dem Umschlag, und wirf einen Blick darauf.« Oma versuchte gleichzeitig, sich aufzusetzen. Auf zwei DIN-A5-Seiten hatte Oma in ihrer altdeutschen Handschrift den Namen und die Telefonnummer eines Bestattungsunternehmens aufgeschrieben. »Wenn ich dann nicht mehr lebe, Christinchen, dann rufst du dort bitte an. Die wissen über alles Bescheid: welcher Sarg, welches Totenhemdchen, Blumenschmuck und so weiter. Man wird dich nach dem Familienbuch fragen, das liegt auch in der Kassette. Der Bestatter braucht es, um bei der Stadt Bescheid zu sagen, dass es mich nicht mehr gibt. Und hier, auf der zweiten Seite, ist eine Liste der Leute, die einen Totenbrief bekommen müssen. Ich habe alles, so gut ich konnte, vorbereitet.«
Müde legte Oma ihren Kopf zurück auf das Kopfkissen. Sie sah mich an. »Christinchen, schau nicht so traurig. Irgendwann hat alles einmal ein Ende. Jetzt nimm diesen anderen Umschlag da, und schau mal hinein. Da sind zweitausend Mark drin. Mehr kann ich dir leider nicht geben, weil ich nicht weiß, wie lange ich die teure Pflegekraft, die Schwester Karin, noch bezahlen muss. Es tut mir sehr leid. Ich hätte dir so gern mehr gegeben. Es geht im Moment nicht.«
Ich war gerührt und umarmte meine Großmutter. »Das ist mehr, als ich brauche, Omi. Wir teilen die Miete, die Kaution und die anderen Anschaffungen durch drei, und von dem restlichen Geld kann ich mir ein Bett, einen Schreibtisch und einen Kleiderschrank kaufen. Ich komme schon zurecht damit. Ich bin dir so dankbar.«
»Pack das Geld schnell weg, bevor deine Mutter es sieht, und kein Wort zu ihr, versprochen?«
»Kein Wort, Omi!«
Ich brachte die Geldkassette zurück ins Schlafzimmer und verstaute sie sorgfältig hinter den Hutschachteln, so wie meine Großmutter es immer getan hatte. Ich wollte und konnte nicht an den Tag denken, an dem ich sie wieder würde hervorkramen müssen, und schob diesen traurigen, düsteren Gedanken weit von mir weg.
Zwischen der Abschlussprüfung und meinem ersten Flug, der mich für drei Tage nach Kairo bringen sollte, lag nur ein einziger Tag. Überglücklich rief ich Oma an und erzählte ihr, dass ich von nun an Angestellte der Deutschen Lufthansa war und als Flugbegleiterin morgen nach Ägypten fliegen würde. Nach diesem Flug musste ich nach Genf fliegen, weil Léon aus Afrika zurückgekehrt war und bei seinen Eltern in Annecy auf mich wartete. Seit über zwei Monaten hatte ich ihn nun schon nicht mehr gesehen, und ich freute mich auf unser Wiedersehen.
Oma hatte eine Gabe, sich mit mir freuen zu können, und schärfte mir ein, mir keine Sorgen um sie zu machen. »Alles, was ich will, ist, dich glücklich zu sehen, und Léon scheint ja ein sehr netter Mann zu sein«, rief sie freudig durch den Hörer. »Ruf mich an, sobald du zurück bist, und erzähl mir alles.«
Die wenigen Tage in Kairo vergingen buchstäblich wie im Flug. Meinen Job als Stewardess empfand ich als körperlich anstrengend, weil wir ständig durch die engen Gänge liefen und ich seit dem frühen Morgen auf den Beinen war. Es war mühsam, mit dem schweren Koffer, dem Beauty-Case und der prallgefüllten Lufthansa-Handtasche in Uniform durch die Straßen bis zur U-Bahn zu laufen, zweimal umzusteigen und dann die endlosen Wege bis zur Lufthansa-Basis zurückzulegen. Vor den Flügen mussten wir anderthalb Stunden
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