Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
eingebrochen war, jagten sie nach draußen.
»Ooooh«, machte Callie. »Bloß weg hier.«
»Was für ein Jammer, dass so ein schönes Haus verfällt«, sagte Drew.
»Komm schon, Drew, lass uns gehen«, bat Callie.
»Gleich.« Drew leuchtete die Treppe hinauf. »Schauen wir uns das obere Stockwerk noch schnell an. Bis wohin bist du damals gegangen, Stan?«
»Nur bis hierher. Ich bin nicht lange geblieben. Ich dachte, da oben wär jemand gewesen.«
»Könnte ein Penner gewesen sein«, sagte Callie. »Oder sonst wer.«
»Ich glaube, es war Mrs Stilwind. Sagt Buster jedenfalls.«
»Buster weiß auch nicht alles«, sagte Callie.
»Er weiß mehr, als du denkst, und zwar über fast alles.«
»Nachschauen kann nicht schaden«, meinte Drew.
»Vielleicht ja doch«, sagte Callie.
Wir stiegen die Treppe hinauf, dicht aneinandergedrängt wie Schafe, und Drew leuchtete uns den Weg. Bei jedem Schritt knarzten die Stufen. Wir erreichten einen Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Wir öffneten die erste, und Drew ließ das Licht der Taschenlampe durchs Zimmer wandern. Es war leer. An einigen Stellen schälte sich die Tapete von den Wänden, und als wir hineingingen, stieg Staub vom Boden auf wie Nebel.
Wir sahen noch in ein paar andere Räume. Überall dasselbe.
Schließlich kamen wir in ein Zimmer, in dem wir ein Bett entdeckten. Daneben stand ein Nachttisch mit einem Spiegel darauf, doch der Spiegel war zerbrochen. Nur in der rechten unteren Ecke klebte noch ein kleines Stückchen Glas, der Rest lag verstreut auf dem Boden, wie Splitter aus Silber.
Neben dem Spiegel lag eine Bürste, in der lange graue Haare hingen. Das Bett war mit einem schmutzigen, knittrigen Laken bezogen, als hätte jemand darin geschlafen. Als wir näher kamen, sahen wir auch graue Haare auf dem Kopfkissen.
»Wow«, sagte Drew. »Anscheinend kommt sie wirklich ab und zu her.«
»Lasst uns gehen«, sagte Callie. »Diese Fledermäuse machen mich nervös.«
»Die sind doch alle schon weg«, antwortete Drew.
»Lasst uns gehen«, wiederholte Callie, und ihre Stimme duldete keinen Widerspruch.
Wir verließen das Zimmer wieder, fast in der Erwartung, Mrs Stilwind an der Tür zu begegnen.
Drew brachte uns nach Hause, und kurz vorm Dew Drop rutschte Callie wieder ganz auf den Beifahrersitz.
Wieder oben in meinem Zimmer, gingen Richard und ich früh zu Bett, schließlich mussten wir am nächsten Tag zur Schule. Ich war aufgeregt und zugleich ein bisschen besorgt. Immerhin hatte ich schon einen Freund in meiner Klasse: Richard. Und wir würden gemeinsam hingehen.
Hellwach lag ich da und dachte über das alles nach, da richtete Richard sich auf einem Ellenbogen auf und sagte vom Fußboden aus: »Stanley?«
»Ja?«
»Deine Familie war sehr nett zu mir. Danke.«
»Nichts zu danken.«
»Aber ich muss gehen.«
»Was?«
Ich setzte mich auf. Nub ebenso, und er schaute leicht genervt drein; er mochte es gar nicht, wenn sein Schlaf gestört wurde.
»Was soll das heißen, du musst gehen?«, fragte ich.
»Ich muss nach Hause.«
»Du kannst nicht nach Hause. Dein Vater will dich da nicht haben.«
»Ich will ja gar nicht zu ihm. Und auch nicht zu meiner Mama. Ich hab über diese Geschichte nachgedacht, die du von der alten Frau erzählt hast, die zu dem verlassenen Haus zurückgeht und nach dem Geist von ihrer Tochter sucht. Meine Eltern scheren sich einen Dreck um mich, dabei bin ich sogar noch am Leben. Die beiden besuche ich nicht, darauf kannst du einen lassen.«
»Warum willst du dann zurück?«
»Ich will mein Fahrrad. Das ist der Hauptgrund. Ich geh hin und hol mein Fahrrad. Wenn ich es nicht mitnehme, verscherbelt es Daddy, oder er schmeißt es weg, einfach nur aus Gemeinheit.«
»Muss das heute Nacht sein?«
»Wenn ich tagsüber komme, dann sehn sie mich, und wenn ich zu lange warte, schmeißt er’s weg. Hat er vielleicht sogar schon.«
»Du kannst dir ein neues Fahrrad besorgen.«
»Ich hab das aber selber aus alten Rädern vom Schrottplatz zusammengebaut. Von ihm hab ich’s nicht. Ich hab sowieso nie viel von ihnen gekriegt, außer Schläge und harte Arbeit. Seit ich hier bei euch bin, hab ich mehr zum Anziehen bekommen als in meinem ganzen Leben zu Hause. Ich hab ja nicht mal Unterhosen gehabt, bis deine Mama mir welche geschenkt hat.«
Er stand auf, zog den Schlafanzug aus, den Mom ihm gegeben hatte, und streifte sich seine Kleider über.
»Du willst einfach hingehen und dir dein Fahrrad holen?«
»Ja. Das auf jeden
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