Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
es mich total umhaut. Kapiert?«
»Ich finde, die ganze Sache stinkt nach Mord.«
»Kann sein«, sagte Callie. »J hat Ms Liebe nicht erwidert, und als sie von ihm schwanger war, wollte er sie loswerden. So kann es gewesen sein. Aber wenn er sie nicht gernhatte, warum hat er dann ihre Briefe aufgehoben?«
»Weil er sie verstecken wollte?«
»Warum hat er sie nicht einfach verbrannt?«
»Siehst du«, sagte ich, »es interessiert dich doch.«
»Ein bisschen. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mir ein Bein rausreiße, um mehr darüber rauszufinden. Wir können es ja mal versuchen, schließlich muss ich den Sommer jetzt irgendwie rumkriegen. Oder wir lassen’s. Mal sehen. Los, komm, wir müssen Mom und Daddy helfen.«
Callie ging hinaus. Ich stellte die Kiste ins oberste Fach meines Kleiderschranks und legte ein gefaltetes Hemd sowie meine Waschbärmütze darüber.
Die letzte Vorführung von Vertigo endete erst lange nach Mitternacht.
So war das eben im Hochsommer: Es wurde erst spät dunkel, und wenn man zwei Vorführungen zeigen wollte, dann lief der Film bis in die frühen Morgenstunden.
An diesem Abend rannten sie uns die Bude ein. Alle wollten den neuen Hitchcock-Film sehen. Ich habe ihn mir natürlich nicht angeschaut. Ich wartete auf unsere Familienvorführung.
Die meiste Zeit über half ich in der Imbissbude mit, und als wir gegen elf die Tore schlossen, stellte Daddy sich am Ausgang auf, damit sich niemand zur zweiten Hälfte des Films hereinschlich.
Das Aufräumen hinterher dauerte ungefähr eine Stunde, und Rosy Maes Stimmung schien sich erheblich gebessert zu haben. Sie summte sogar ein bisschen vor sich hin, während sie mit wollenen Küchenhandschuhen das Frittierfett in ein Fass goss.
Dann spülte sie den Bräter und das restliche Geschirr ab, und als sie fertig war, fragte sie mich, ob ich mit ihr vors Haus gehen wolle, während sie eine Zigarette rauchte, denn sie fürchtete sich vor ihrem Mann, Bubba Joe, andererseits hatte meine Mutter im Haus ein striktes Rauchverbot durchgesetzt.
Mom hörte unser Gespräch zufällig mit und sagte: »Mir gefällt das nicht, dass der Junge vors Haus geht. Stellt euch nur mal vor, wenn Bubba Joe wirklich da draußen rumläuft. Warum setzt ihr euch nicht hoch aufs Dach?«
»Ja, Ma’am«, sagte Rosy Mae.
Wir stiegen die Treppe hoch und kletterten dann eine Schräge hinauf, die zu einer Falltür zum Dach führte. Genau unter dem riesigen Tautropfen traten wir ins Freie.
Wir schauten zu, wie die letzten Autos nacheinander aus dem Kino fuhren und die Scheinwerfer einschalteten, deren Lichter in die Nacht hinausstachen. Ich sah Buster, der mit der Thermoskanne in der Hand die Imbissbude verließ; er ging auf den Ausgang zu und schob sich langsam an den Autos vorbei, die hinausfuhren. Mir war, als hörte ich jemanden »Nigger« aus einem Wagen rufen.
Buster hob nicht einmal den Kopf. Er schlenderte einfach weiter.
Rosy Mae holte eine Dose Sir Walter Raleigh -Tabak hervor und krümelte etwas davon auf ein Zigarettenpapier. Geschickt rollte sie es mit einer Hand zusammen, leckte die Kante an und steckte sich die Zigarette in den Mund, lässig wie ein Cowboy.
Dann zog sie ein langes Streichholz aus ihrem unbändigen Haar, streckte ihre Hüfte raus, fuhr sich mit dem Streichholz einmal über das Kleid und zündete sich die Zigarette an.
»Aaaaah«, seufzte sie. »Das hab ich gebraucht.« Fast unmittelbar danach fing sie an zu husten. »Das kann ich aber gar nich brauchen. Hau mir mal feste auf ’n Rücken, Mister Stanley.«
Ich klopfte ihr zwischen die Schulterblätter.
»Danke. Hab’s in den falschen Hals bekommen.«
»Du musst nicht Mister zu mir sagen«, meinte ich. »Ich bin doch bloß ein Junge.«
»Ja, Sir, aber ’n weißer Junge.«
»Nenn mich Stanley.«
»Also gut, Stanley.«
»Dein Mann ... ist der gefährlich?«
»Mir jagt er ’ne Heidenangst ein. Ich kenn ’n paar Nigger, die auf ’m Absatz kehrtmachen, wenn sie ihn kommen sehn. Und ich hab immer ’n Rasiermesser dabei.« Sie griff in eine Falte ihres Kleides, holte das Messer hervor und klappte es auf. Die Klinge schnappte heraus wie eine Zunge, schnitt durch die Dunkelheit, schnappte wieder zu und verschwand in ihrem Kleid.
»Er hat aber auch immer so eins inner Tasche. Und er hat damit schon Leute verletzt. Ich hab noch nie wen angegriffen. Aber einmal hab ich ’n Nigger mit dem Messer bedroht. Der war mir echt blöd gekommen. Aber verletzen will ich einglich
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