Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
Vom Netzwerk:
Fußbodenfliesen.
    »Stanley?«
    »Was machst du denn hier?«
    »Ich schenke mir ein Glas Milch ein. Warum bist du angezogen?«
    »Nur so.«
    »Quark. Du willst abhauen.«
    »Gar nicht.«
    »Und ob. Sag mir, was du vorhast, sonst wecke ich Mom und Dad.«
    Ich zögerte. Ausflüchte schwirrten mir durch den Kopf wie kleine Fischchen durch die Maschen eines groben Netzes – keines von ihnen groß und kräftig genug für meine Zwecke.
    »Du weckst noch Rosy auf«, flüsterte ich.
    Callie warf einen Blick in Richtung Wohnzimmer. Wir konnten hören, wie Rosy schnarchte. Es klang, als würde jemand mit einem stumpfen Fuchsschwanz Holzscheite bearbeiten.
    »Dann gehen wir halt raus«, entschied Callie.
    Sie schloss die Hintertür auf, und wir schlichen auf die Veranda. »Jetzt erzähl schon«, forderte sie.
    So knapp ich konnte, umriss ich den Stand der Dinge.
    »Geister?«, fragte sie. »Du glaubst an Geister?«
    »Ich weiß nicht. Das wollte ich herausfinden.«
    Callie schwieg. Sie hielt immer noch das Milchglas in der Hand und trank in kleinen Schlucken.
    »Richard steht vorm Haus und wartet auf mich.«
    »Du weißt doch, dass Bubba Joe vielleicht da draußen herumläuft.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Das ist echt irgendwie spannend.«
    Ehrlich gesagt war die Spannung nicht mein Hauptanliegen bei der Sache. Ich wollte bloß nicht als Schisser gelten.
    »Ich komme mit.«
    »Was?«
    »Ich komme mit euch mit. Ich will auch einen Geist sehen.«
    »Du kannst nicht mitkommen!«
    »Entweder komme ich mit, oder ich erzähl alles Mom und Daddy.«
    »Dann sag ich ihnen, dass du dich auch rausschleichen wolltest.«
    »Das werden sie dir nicht glauben.«
    »Du könntest Ärger bekommen.«
    »Du auch.«
    »Du hast schon ganz schön viel Ärger gehabt in letzter Zeit. Willst du das wirklich riskieren?«
    »Dasselbe könnte ich dich fragen.«
    »Ach, also schön.«
    »Ich muss mich umziehen.«
    »Ich sag Richard Bescheid.«
    »Wenn du auch nur einigermaßen Grips in der Birne hast, versuchst du nicht, mit ihm abzuhauen. Kapiert, Stanley?«
    »Wir fahren bis zur Sägemühle mit dem Fahrrad.«
    »Dann hol ich eben auch mein Fahrrad.«
    »Weißt du überhaupt noch, wie man es benutzt?«
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir wieder einfallen wird. Jetzt geh raus und warte auf mich.«
    »Ich brauche den Schlüssel, um mein Fahrrad vom Hof zu schieben.«
    Callie nahm den Schlüssel vom Haken neben der Tür.
    »Also gut. Du schließt das Tor auf, lässt es offen, hängst den Schlüssel an die Klinke, und ich schließe ab, wenn ich mit dem Fahrrad draußen bin. Ich sperre die Haustür ab, wenn ich rausgehe.«
     
    Ich öffnete das Tor und schob mein Rad hinaus zu Richard. »Ich hab schon gedacht, du wärst vielleicht eingepennt«, begrüßte er mich.
    Das war doch mal eine Ausrede, die ich hätte benutzen können, dachte ich. Ich hätte ihm einfach erzählen können, ich wäre eingeschlafen. Warum war ich darauf nicht gekommen?
    Jetzt war es natürlich zu spät.
    »Meine Schwester hat mich erwischt. Sie kommt auch mit.«
    »Sie kann nicht mitkommen!«
    »Sie kommt aber mit. Ansonsten verpetzt sie mich.«
    »Sie ist ein Mädchen!«
    »Ja, Richard. Sie ist ein Mädchen. Das sind Schwestern meistens.«
    Er seufzte. »Also gut. Wo ist sie?«
    »Zieht sich was an.«
    Nach ungefähr fünf Minuten tauchte Callie mit ihrem Fahrrad auf. Das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und die Jeans hatte sie fast bis zu den Knien hochgekrempelt. Sie trug rosa Sportschuhe und ein weites rosa Hemd, dessen Zipfel sie vorm Bauch verknotet hatte. Im Mondlicht konnte ich sehen, dass sie Lippenstift aufgetragen hatte.
    »Für wen ist die Kriegsbemalung?«, fragte ich. »Für den Geist?«
    »Man weiß nie, wem man über den Weg läuft.« Callie stieg in den Sattel und sagte: »Von mir aus kann’s losgehen.«
     

12
     
    Zügig glitten wir im Licht der Mondsichel dahin. Die dunklen, pfeilförmigen Schatten der Kiefern fielen stumm vor uns auf die Straße. Die Luft war kühl, und über unseren Köpfen machten Fledermäuse Jagd auf Insekten. Das einzige Geräusch war das Sirren unserer Reifen auf dem Asphalt und das Reiben der Ketten auf den Ritzeln, wenn wir in die Pedale traten.
    Als wir zu der verlassenen Sägemühle kamen, hielten wir an und betrachteten sie. Im Mondlicht sah sie beeindruckend aus. Fast erwartete ich, dass die Maschinen sich in Gang setzten. Jeden Schatten, den ich wahrnahm, hielt ich einen Augenblick lang für einen

Weitere Kostenlose Bücher