Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
hatten. Sie rannen ihm übers Gesicht und das Kinn hinab. Damals dachte ich, er weinte um Butch. Später änderte ich meine Meinung.
»Ich hätte nie gedacht, dass ihn überhaupt irgendwas zum Weinen bringen kann. Aber Butch ... verdammte Kacke.«
»Vielleicht sollten wir ihn wieder zugraben«, sagte Callie.
Richard wickelte die Decke um Butch, und wir schoben die Erde wieder ins Loch. Zum Abschluss scharrten wir mit den Füßen Kiefernnadeln auf das Grab.
»Morgen hol ich ein paar große Steine und leg sie obendrauf«, sagte Richard. »Dann kommen die Aasfresser nicht so schnell an ihn ran.«
»Willst du jetzt lieber nach Hause?«, fragte ich.
Richard schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn ich jetzt nach Hause geh, sieht mich wahrscheinlich mein Dad. Vielleicht hat er längst gemerkt, dass ich weg bin. Wenn ich schon Prügel beziehen muss, dann wenigstens für was, das ich bis zum Ende durchgezogen hab. Es würde ihm nicht gefallen, dass ich ihn hab weinen sehn, und ich will ganz sicher nicht, dass er es weiß.«
Ein Windhauch ließ die Kiefern aufseufzen, als wären sie müde vom Aufrechtstehen. Als wir den Pfad erreichten, nahm der Wind zu, wirbelte Blätter auf und fegte sie gegen unsere Beine wie geblendete Vögel.
Während wir weiterliefen, hatte ich das unheimliche Gefühl, dass uns jemand folgte – dieses Gefühl, als würde jemand eine Dolchspitze auf meinen Hinterkopf richten. Doch als ich mich umdrehte, sah ich nichts außer umhersausenden Blättern und den Bäumen, die sich rauschend im Winde wiegten. Ich fragte mich, ob vielleicht Mr Chapman hinter uns herkam und uns beobachtete, oder ob es der Geist war, oder ein Tier. Oder Bubba Joe. Oder meine Phantasie.
Der Pfad mündete auf ein Feld, das eingeebnet und mit Kies bedeckt worden war. Darauf stand ein Bahnwärterhäuschen mit einem großen Vorhängeschloss an der Tür. Ein kleines Stück dahinter lagen die Gleise, die wie Silberfäden im Mondlicht glänzten. Noch bevor wir uns den Schienen näherten, konnten wir das Teeröl auf den Schwellen riechen. Der Geruch war so stark, dass uns die Tränen in die Augen stiegen.
»Wo ist der Geist?«, fragte Callie.
»Ich hab nicht behauptet, dass sie hier stehen und auf uns warten würde«, sagte Richard. »Außerdem haben sie ihre Leiche gar nicht hier gefunden. Das war noch ein Stückchen weiter. Und ich kann nicht dafür garantieren, dass wir sie heute treffen.«
Wir gingen zu den Gleisen, überquerten sie und schlichen dorthin, wo der Wald ganz nah an die Schienen heranwuchs und nur ein schmaler Kiespfad an ihnen entlangführte.
»Nicht zu fassen, dass ich hier mit euch herumstiefele«, murmelte Callie. »Ich muss den Verstand verloren haben.«
»Ich hab dich nicht dazu gezwungen«, erinnerte ich sie.
»Ich konnte euch schlecht alleine gehen lassen. Heiliger Bimbam, was hab ich mir bloß dabei gedacht? Ich riskiere lebenslangen Hausarrest. Daddy hat mich gerade erst freigesprochen, und schon steh ich wieder da und benehme mich wie ein Idiot. Wobei ich allerdings sagen muss, dass ich das erste Mal gar nichts verbrochen hatte.«
»Diesmal aber schon«, sagte ich.
»Warum haltet ihr nicht beide die Klappe«, zischte Richard. »Ihr verscheucht noch den Geist.«
»Wenn wir ihn verscheuchen können, taugt er nicht viel als Geist«, sagte Callie.
Ich weiß nicht, wie weit wir gegangen waren, aber zwischen den Bäumen wurde sumpfiges Wasser sichtbar, und wir hörten große Ochsenfrösche quaken, als würden sie Megaphone benutzen. Nach dem Platschen zu urteilen, mit dem sie ins Wasser hüpften, waren sie mindestens so groß wie ein Hund.
»Ich kannte mal eine Farbige, die hat mir vom König der Ochsenfrösche erzählt«, sagte Richard.
»Ein König?«, fragte Callie.
»Ein riesengroßer Ochsenfrosch. Sie hat gesagt, es gab mal einen alten Nig... Farbigen, und der wurde verflucht, und dadurch hat er sich in diesen großen schwarzen Ochsenfrosch verwandelt. Er regiert über alle Frösche und Schlangen und alles, was sonst noch so rumschwimmt.«
»Beneidenswerter Mann«, sagte Callie.
»Warum wurde er in einen Frosch verwandelt?«, fragte ich.
»Er hat’s mit andern Weibern getrieben, und seine Frau war eine Hexe, und sie hat ihn verflucht, weil er sie schlecht behandelt hat.«
»Recht hat sie«, fand Callie.
»Angeblich klaut er kleine Kinder, nimmt sie mit in den Sumpf und gibt sie den Fröschen zum Fressen.«
»Frösche haben keine Zähne«, sagte Callie.
»Sie können aber trotzdem
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