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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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geisterhaften Sägemühlenarbeiter, der vor sich hin hantierte.
    »Alle Sägemühlenarbeiter, die ich je getroffen hab, hatten einen abben Finger«, sagte Richard. »Mein Vater hat auch mal eine Zeit lang hier gearbeitet, und er hat einen abben Finger an der linken Hand. Aber den Gürtel hält er immer in der rechten Hand, wenn er mich schlägt, da stört ihn das nicht besonders. Außerdem macht es nix, wenn ein Stück Finger fehlt, solang man eine Faust machen kann.«
    »Ich bin hergekommen, um mir einen Geist anzugucken«, sagte Callie. »Wenn es so was überhaupt gibt. Von abgesägten Fingern will ich nichts hören.«
    »Der Geist läuft hinter der Sägemühle rum«, erwiderte Richard. »Durch den Wald, bei den Schienen unten. Ich kann euch nicht versprechen, dass es heute was zu sehen gibt. Aber da soll er angeblich sein.«
    »Durch den Wald?«, wiederholte Callie.
    »Allerdings.« Richard schaute mich an. »Genau darum wollte ich nicht, dass du ein Mädchen mitnimmst.«
    »Was soll denn das heißen?«, fragte Callie.
    »Du schlotterst ja schon vor Angst. Ooooh, der Wald! Du könntest ja mit den Haaren in irgendwelchen Zweigen hängen bleiben.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich mich fürchte oder dass ich nicht mitkomme. Ich habe bloß gefragt, wie wir zu diesem Geist kommen. Schließlich bin ich genau deswegen hier, oder etwa nicht? Glaubst du vielleicht, eine alte Sägemühle und ein paar Bäume können mich davon abhalten?«
    »Hat Stanley dir erzählt, dass dieser Geist keinen Kopf hat?«
    »Falls du versuchst, mir Angst einzujagen – das kannst du dir sparen. Wenn ich mich vor diesem Geist fürchte, falls es ihn überhaupt gibt, dann ist es wahrscheinlich egal, ob ihm der Kopf fehlt oder nicht.«
    »Die Räder lassen wir hier bei der Sägemühle stehen«, sagte Richard.
    Wir schoben die Drahtesel ins Gebüsch neben dem Gebäude und lehnten sie gegen die fauligen Pfähle, die die Rückwand aufrecht hielten. Richard schaute zu Callie und sagte: »Hast du schon gehört, dass unter diesen ganzen Sägespänen ein kleiner Niggerjunge liegt?«
    »Bitte was?«
    Richard blieb stehen, um ihr die Geschichte zu erzählen. Ich begriff, dass er, auf seine eigene gestörte Art, gerade mit Callie flirtete und versuchte, ihr zu imponieren.
    »Davon glaub ich kein Wort«, sagte sie. »Und mir wäre es lieber, wenn du dieses Wort in meiner Gegenwart nicht benutzt.«
    »Welches Wort?«
    »Was du zu Negern sagst.«
    »Nigger?«
    »Genau das.«
    »Nigger, Nigger, Nigger.«
    Callie warf Richard einen Blick zu, der ihn ein kleines Stück zurückweichen ließ. Selbst in der Dunkelheit konnte ich diesen Blick spüren, und er war nicht einmal auf mich gerichtet.
    »Lasst uns endlich zu diesem Geist gehen«, fauchte Callie.
    Richard öffnete den Mund, um zu einer weiteren pfiffigen Bemerkung anzusetzen, aber dann schloss er ihn wieder. Ich hielt das für eine kluge Entscheidung.
     
    Im Mondlicht war nur der Pfad direkt vor unseren Füßen zu sehen, der Rest wurde von der Dunkelheit zwischen den Bäumen verschluckt. Ein Nachtvogel schrie, und ein Opossum, das wir aufschreckten, als wir um eine Kurve bogen, zischte uns wütend an, dann trappelte es davon und verschwand im Wald.
    »Fast hätte ich mir in die Hosen gemacht«, sagte Callie.
    »Ich bin sogar ein bisschen zusammengezuckt«, sagte Richard.
    »Und wie du zusammengezuckt bist«, gab Callie zurück. »Ich dachte schon, du springst mir auf den Arm.«
    Bevor Richard widersprechen konnte, hörten wir ein Geräusch, das wie ein Schluchzen klang, dann knirschte es, dann ein Schlag, dann knirschte es wieder. All das begleitet von diesem Schluchzen.
    Richard, der ganz vorne ging, hob die Hand, und wir blieben stehen. »Runter vom Pfad«, flüsterte er. Seine Stimme war kaum lauter als der Flügelschlag eines Schmetterlings.
    Wir kauerten uns unter einen großen Baum.
    »Was ist das?«, fragte Callie. »Ein Tier?«
    »Wenn das ein Tier ist, dann keins, das ich kenne«, erwiderte Richard. »Und ich bin ständig hier im Wald.«
    »Vielleicht war dieses Tier nie im Wald, wenn du hier warst«, sagte Callie. »Bis jetzt.«
    Wir lauschten noch ein bisschen. Das waren eindeutig Schluchzer. Wieder das Knirschen. Und dann hörte es sich an, als würde etwas auf die Erde klatschen.
    »Es kommt von da hinten rechts«, stellte Richard fest. »Das könnte der Geist sein.«
    »Ich dachte, sie wäre bei den Bahngleisen?«, fragte ich.
    »Vielleicht hat sie die Nase voll von den

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