Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
dicken, dunklen Tauen.
Im Schein des Blitzes hob er den Kopf, und sein Blick richtete sich auf mich. Noch nie hatte ich einen so hasserfüllten Gesichtsausdruck gesehen; seine Augen waren schwarz wie Gucklöcher in die Hölle. Nub knurrte und drückte sich gegen mich. Dann war das bösartige Gesicht verschwunden, und ich stand wieder allein in meinem kreisförmigen Sichtfeld. Der Regen hinter den dicht belaubten Zweigen der Eiche war so undurchdringlich wie die schwarzen Vorhänge eines Leichenwagens.
Was war das für ein Mensch?, dachte ich.
Wie hatte er genug sehen können, um mir zu folgen?
War es seine Hutkrempe? Verschaffte die ihm einen Vorteil?
Oder war er einfach ein Mann der Wildnis? Vielleicht hatten sich seine Augen auch nur länger an die regendurchströmte Dunkelheit gewöhnen können?
Es spielte keine Rolle.
Dieses Rätsel ging über meinen Verstand, und ich würde es nicht lösen. Am Ende fand ich eine einfache Antwort. Er konnte sich hier draußen freier bewegen und besser sehen als ich, weil er keine Angst vor den Naturgewalten hatte; er war selbst eine.
Ich hastete um die Eiche herum zur anderen Seite des Stammes, lehnte mich an und versuchte zu überlegen, was ich jetzt tun sollte. Jeden Moment rechnete ich damit, dass sein Kopf neben mir um den Baum herumkam. Und dann würde er mich packen.
Das war zu viel für mich.
Ich fing an zu rennen. Jegliches Kalkül warf ich über Bord. Blindlings raste ich vorwärts, bis ich gegen einen Baum stieß und benommen zu Boden stolperte. Mühsam versuchte ich, mich auf ein Knie zu erheben, aber ich fiel immer wieder hin – zum einen, weil das Gras rutschig war, und zum anderen, weil mir der Schädel brummte.
Nub sprang an mir hoch, um mich anzufeuern, und hatte angefangen zu bellen.
Ich war beinahe wieder auf den Füßen, als ich am Hemdkragen gepackt und herumgewirbelt wurde. Dicht vor mir stand ein Schatten. Ich spürte keuchenden Atem in meinem Gesicht und roch Tabak und Whiskey. Dann hörte ich eine Stimme, die klang, als stiege sie auf den Schwingen einer Fledermaus aus den Tiefen eines Grabes empor. Die Hand hielt meinen Kragen so eng gepackt, dass er mir auf einer Seite die Halsschlagader abschnürte. Langsam wurde mir schwummerig.
»Ihr eingebildeten Weißärsche habt mir meine Rosy Mae weggenommen. Euch mach ich fertig, dich und deine ganze beschissene weiße Familie.«
In diesem Augenblick schmolz auch der letzte Zweifel dahin, ob Bubba Joe wohl wütend auf uns war, weil Rosy Mae ihn verlassen hatte, oder ob er sich auch an Weißen vergreifen würde.
Dann hörte ich ein Knurren, und irgendetwas schnappte zu. Bubba Joe stieß einen Schrei aus, und ich wusste, dass Nub an seinem Bein hing.
Wieder leuchtete ein Blitz auf, und ich konnte Bubba Joe deutlich sehen. Sein Gesicht war von Narben durchzogen, seine Nase saß nach einem alten Bruch ein wenig schief, und aus seinem weit offenen Mund strömte ein Schwall von Obszönitäten.
Nub hatte sich festgebissen; anscheinend hatte er es auf den Knochen abgesehen.
Bubba Joe schüttelte sein Bein, schrie, fluchte, versuchte Nub wegzutreten, ohne mich dabei loszulassen. Aber ohne Erfolg. Er fuhr mit der Hand in seinen Mantel, holte ein Messer hervor, dessen Klinge so groß war, dass es selbst im Trojanischen Krieg Eindruck gemacht hätte, und ließ im selben Augenblick mein Hemd los.
»Du mieser Bastard«, zischte Bubba Joe, und mir wurde klar, dass er Nub meinte, nicht mich.
»Lauf weg, Nub. Lauf!«, schrie ich.
Doch Nub lief nicht. Er biss weiter zu.
Dann hörte ich ihn aufjaulen. Ich drosch mit den Händen auf Bubba Joe ein, in der Hoffnung, ihn zu Boden zu schlagen. Aber genauso gut hätte ich einen Sandsack hauen können. Ich spürte, wie meine Hände über seine dichten Bartstoppeln schrammten. Wieder packte er mich am Hemd.
Ich erwartete, dass sich mir die Klinge in den Magen bohren würde, aber nichts geschah.
Dann gab es einen Ruck. Bubba Joes Griff löste sich von meinem Hemd, und im nächsten Moment rangen zwei dunkle Gestalten im Regen miteinander. Eine von ihnen war der breite, stämmige Bubba Joe. Die andere war groß und hager. Ich konnte sie nicht richtig erkennen, aber ich wusste, der andere Mann war Buster Abbot Lighthorse Smith.
Inzwischen hatten sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt. Ich sah, wie Buster sich auf Bubba Joe zubewegte. Bubba Joes Füße segelten durch die Luft, und er kippte um. Nub hing immer noch an seinem Bein. Bubba Joe prallte hart
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