Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
drauf. Hab ich mir von Leuten abgeschaut, die so was bei der Armee gelernt haben. Ich wollt ihm aber auch nicht den Hauch einer Chance lassen. Hab ihn niedergeworfen, festgehalten und erledigt. Ansonsten hätt er mich umgebracht. Ich hatte keine andere Wahl. Begreifst du das, Junge?«
»Ja, Sir.« Buster schaute auf sein Hemd herunter. Es war über und über mit Blut besudelt, das der Regen bis hinunter auf seine Hose geschwemmt hatte.
»Sie sind verletzt«, sagte ich.
»Alles nur sein Blut. Hat ein bisschen gespritzt. Ich zieh mir mal ein anderes Hemd an.«
Er zog das blutige Hemd aus und warf es in den Ofen. Es ging in Flammen auf. Sein dünner Leib war von Narben übersät. Über seinen Rücken zogen sich Striemen, die aussahen, als steckte Stacheldraht unter seiner Haut.
Er holte ein zusammengelegtes Hemd aus einer Schachtel unter dem Bett hervor und streifte es sich über.
»Irgendjemand wird ihn finden, oder?«, fragte ich.
»Wenn er anfängt zu stinken ... ja, dann finden sie ihn. Und du und ich, wir werden keinen Mucks von uns geben, richtig?«
»Ja, Sir.«
»Ich will dir nicht drohen, Kleiner. Ich frage dich als Freund.«
»Sie haben mir wirklich das Leben gerettet.«
»Sieht ganz danach aus. Dein Hund hat was abgekriegt.«
»Was? O nein!«
»Nix Schlimmes. Ich werd was draufschütten. Dann ist er wieder so gut wie neu. Verdammte Hacke, so ’n tapferer Hund, der hat den Messerstich bestimmt nicht mal gespürt.«
Der Messerstich hatte Nub vielleicht nicht viel ausgemacht, aber den Alkohol fand er gar nicht lustig. Er biss Buster in den Arm.
Während die letzte Feuchtigkeit aus meinen Kleidern verdampfte, setzten wir uns an den Tisch, ich mit der Decke um die Schultern und Buster mit einem Becher Kaffee, »um die Launen auszutreiben«, wie er sagte.
Er schleppte einen Plattenspieler heran, legte eine Schallplatte auf und schaltete ihn ein. »Muss mich auf andere Gedanken bringen«, sagte er. »Darf nicht zu lang drüber nachdenken.«
Aus dem Plattenspieler kam eine Musik, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte. Rock ’n’ Roll war es nicht, aber es klang so ähnlich.
»Das ist Blues«, sagte Buster. »Big Joe Turner.«
Wir lauschten der Musik. Währenddessen besah ich mir Busters Notizen und fragte: »Was bedeutet das hier, Buster?«
Es war mir bereits vorher aufgefallen: »Mutter vom Mädchen«.
»Das bedeutet, dass wir vielleicht einen ersten Ansatz haben. Einen Hebel, mit dem wir den Fall knacken und sehen können, was drinsteckt. Wenn man sich die Wurzel anschaut, dann versteht man die Blüte besser. Die Blüte ist in dem Fall natürlich der Mord und die Mörder.«
»Und was haben Sie herausgefunden?«
»Tja, ich hab rausgefunden, dass die Mutter von dem weißen Mädchen, das bei den Schienen umgebracht wurde, noch am Leben ist, und vielleicht weiß sie irgendwas. Du erinnerst dich bestimmt, ich hab dir ja erzählt, woher ich sie kenne.«
»Ja, Sir.«
»Ich hab mit ein paar Leuten geredet, bei denen ich sicher war, dass sie wissen würden, ob sie noch lebt, und das tut sie. Eigentlich ist sie noch gar nicht so alt. Sie wohnt immer noch im selben Haus.«
»Ich weiß«, sagte ich. »An den Bahngleisen, unten beim Sumpfgebiet, gar nicht weit von der Bockbrücke. Da waren wir, um den Geist zu sehen. Da in der Nähe wurde Margret umgebracht.«
»Aus dir wird noch mal ein erstklassiger Schnüffler, Stan. Die Mama, Winnie, die weiß vielleicht was. Mit ihr können wir bestimmt reden. Normalerweise würd ich mich hüten, eine weiße Frau anzuquatschen, könnte mich schließlich an den Galgen bringen. Aber ich kenne Winnie, und sie lebt mit einem Schwarzen zusammen da unten bei dem Tümpel. Ein grantiger Kerl namens Chance. Abgesehen davon ist sie auch gar nicht komplett weiß. Sie hat ein bisschen dunklere Haut, weil sie was Mexikanisches oder Puertoricanisches oder was auch immer im Blut hat. Aber das hab ich dir ja erzählt.«
»Gehen wir sie jetzt besuchen?«
»Natürlich nicht. Nicht bei diesem Sauwetter. Und auch wenn sie den Anblick von Männern gewohnt ist, die wenig oder gar keine Klamotten anhaben, solltest du vielleicht nicht unbedingt in Unterhosen zu ihr laufen. Hab ich nicht recht?«
»Ja, Sir.«
»Als Allererstes müssen wir dir jetzt was anziehen und zusehen, dass du nach Hause kommst.«
»Gehen Sie heute Abend arbeiten?«
»Wenn ich es schaffe, die Finger vom Whiskey zu lassen.«
»Daddy hat gesagt, wenn Sie nicht zur Arbeit kommen ... dann macht er mich
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