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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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miese Ratte. Kinder und Frauen und kleine Hunde schlagen, da bist du ganz groß, was, du widerlicher Scheißkerl? Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nicht mehr wissen, auf welcher Seite deiner Visage du dir in der Nase bohren sollst!«
    »Daddy!« Callie war über den Zaun geklettert und rannte zu ihm hin. Ich rührte mich keinen Millimeter von der Stelle. Stattdessen nahm ich Nub auf den Arm und drückte ihn an mich. Er zitterte.
    Callie hielt Daddys Hand fest, sodass er Chapman nicht mehr schlagen konnte, also schubste er ihn auf die Erde. Chapman blutete aus Nase, Mund und Ohren und sagte: »Ein Chapman vergisst nicht.«
    »Gut so«, antwortete Daddy. »Behalt diese Lektion schön in Erinnerung.«
    »Verfluchtes Gör – eine Frau sollte nicht die Hand gegen einen Mann erheben.«
    Daddy trat ihm zwischen die Rippen. »Wer behauptet, du wärst ein Mann?«
    »Daddy«, sagte Callie und griff nach seinem Arm. »Das reicht.«
    »Dich krieg ich auch noch, Fräulein«, sagte Chapman und schob mit der Zunge einen losen Zahn zwischen seinen blutenden Lippen hervor.
    Callie ließ Daddy los und trat Chapman vors Kinn, als wollte sie ein Tor schießen. Chapman, der gerade versucht hatte aufzustehen, fiel nach hinten um. »Kriegst du nicht, du fieses Dreckschwein.«
    »Was hast du gerade gesagt?«, fragte Daddy.
    »Du hast ›Scheißkerl‹ zu ihm gesagt.«
    »Kann schon sein«, sagte Daddy. »He, Chapman. Die Mitchels vergessen auch nicht. Dein Sohn ist jederzeit bei uns willkommen. Aber du kommst mir besser nicht mehr unter die Augen. Auch nicht in der Stadt.«
    Chapman erhob sich schwankend. Daddy bückte sich rasch und hob den Wanderstab auf. Chapman zuckte zusammen, aber Daddy warf ihm den Stab nur zu. »Vergiss den hier nicht. Vielleicht läuft dir auf dem Heimweg ein verwundetes Tier über den Weg, das du verprügeln willst.«
    Chapman nahm den Wanderstab, drehte sich um und humpelte davon, so schnell er konnte.
    Als wir alle wieder im Haus waren, setzte ich mich an den Tisch und nahm Nub auf den Schoß. Ich war froh, dass er lediglich eine Beule am Kopf hatte. Es kam mir vor, als wäre ich mit irgendeinem Fluch belegt, seit ich diese Briefbüchse der Pandora geöffnet hatte.
    In diesem einen Sommer war meiner Familie mehr widerfahren als zuvor in meinem gesamten Leben. Vielleicht sogar mehr als im gesamten Leben meiner Eltern. Allerdings hatten sie das meiste davon gar nicht mitgekriegt. Mir drängte sich der Gedanke auf, ich hätte, indem ich diese Kiste gefunden und aufgebrochen hatte, irgendwelche dunklen Götter beleidigt, die jetzt über diesen feinen, dunklen Riss zwischen ihrer geheimnisvollen Finsternis und unserer Wirklichkeit krochen und krabbelten, wutschnaubend, bedrohlich und gefährlich. Sogar unseren Hund nahmen sie aufs Korn.
    Mom lehnte am Tresen und hörte Callie zu, die erzählte, was passiert war.
    Wir anderen, einschließlich Rosy, saßen um den Tisch.
    »Ich hab ihm einen Stein vor den Latz gepfeffert«, sagte Callie.
    »Das ist nicht schön, Callie«, mahnte Mom. »Auf so was braucht man gar nicht stolz zu sein.«
    »Ach, ich weiß nicht«, widersprach Daddy. »Das sagt einiges über ihre Hand-Augen-Koordination, das Zusammenspiel ihrer jugendlichen Muskeln. Und sie kann verdammt gut zielen.«
    »Stimmt«, sagte Rosy Mae. »Miss Callie, die kann ganz or’ntlich werfen. Hab letztens gesehn, wie sie ’n Blauhäher mit ’m Stein getroffen hat.«
    »Aber Rosy«, sagte Callie, »das war doch keine Absicht. Ich meine, ich hab den Stein natürlich geworfen, aber ich hab nicht damit gerechnet, den Vogel zu treffen.«
    »In null Komma nix war das Viech tot«, fuhr Rosy fort.
    Mom und Dad warfen Callie einen Blick zu, wie nur Eltern ihn zustande bringen.
    »Ehrlich«, beteuerte Callie. »Ich wollte ihn nicht töten. Das war nur ein Versehen.«
    »Jedenfalls«, sagte ich, um das Gespräch wieder in weniger heikle Bahnen zu lenken, »hat sie einen guten Wurfarm.«
    »Whitey Ford hätte es nicht besser machen können«, bestätigte Daddy.
    »Stanley«, sagte Mom. »So was kannst du doch nicht sagen. Sie für so etwas noch zu loben, also wirklich. Sie hat einen armen Vogel getroffen. Und Mr Chapman.«
    »Sogar mehrmals«, ergänzte Daddy.
    »Mehrmals?«, fragte Mom.
    »Er hat Stan von einem Baum geschüttelt«, sagte Callie.
    »Eigentlich war es eine Treppe«, korrigierte ich sie.
    »Eine Treppe?«, fragte Mom.
    Ich erklärte es ihr. »Ich wusste gar nicht, dass es da hinten so etwas gibt«, sagte Mom.

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