Ein Feuer Auf Der Tiefe
können, wenn wir ankommen; eine Rüstung mit eigenem Antrieb könnte wirklich nützlich sein.«
Am Ende jedes Arbeitstages trafen sie sich alle auf dem Steuerdeck, um Beobachtungen zu vergleichen, das Neueste von Jefri und Herrn Stahl zu überdenken, den Antriebsstatus zu überprüfen. Für Ravna konnte das die glücklichste Zeit des Tages sein – und manchmal die schwerste. Pham hatte die Bildschirmautomatik manipuliert, sodass sie ringsum Burgmauern zeigte. Ein großer Kamin ersetzte das normale Kom-Status-Fenster. Der Klang war fast perfekt; Pham hatte es sogar geschafft, dass die Wand eine kleine Menge ›Feuerwärme‹ ausstrahlte. Es war eine Burghalle aus Phams Erinnerung, von Canberra, wie er sagte. Aber sie unterschied sich nicht allzu sehr vom Zeitalter der Fürstinnen auf der Nyjora (obwohl die meisten von jenen Burgen in tropischem Sumpfland gestanden hatten, wo große Kamine selten benutzt wurden). Aus irgendeinem perversen Grunde schien es sogar den Skrodfahrern zu gefallen; Grünmuschel sagte, dass es sie an einen Handelsposten aus ihren ersten Jahren mit Blaustiel erinnerte.
Wie Reisende, die einen langen Tag über gegangen sind, ruhten sich die vier in der Gemütlichkeit einer Phantomhütte aus. Und wenn die neuen Aufgaben festgelegt waren, erzählten Pham und die Skrodfahrer Geschichten, oft bis spät in die ›Nacht‹.
Ravna saß neben ihm, die am wenigsten Gesprächige von den vier. Sie beteiligte sich am Gelächter und manchmal an der Diskussion: Einmal machte sich Blaustiel über Phams Glauben an öffentliche Verschlüsselungscodes lustig, und Ravna kannte ein paar eigene Geschichten, die geeignet waren, die Meinung des Skrodfahrers zu illustrieren. Doch es war für sie auch die schwerste Zeit. Ja, die Geschichten waren wunderbar. Blaustiel und Grünmuschel waren an so vielen Orten gewesen, und sie waren mit ganzer Seele Kauffahrer. Betrügereien und Geschäfte und beidseitiger Nutzen gehörten zu ihrem Leben. Pham lauschte seinen Freunden, fast bezaubert – und erzählte dann seine eigenen Geschichten, wie er auf Canberra ein Prinz, in der Langsamen Zone ein Kauffahrer und Forscher gewesen war. Und bei all den Beschränkungen des Langsam übertrafen die Abenteuer seines Lebens sogar die der Skrodfahrer. Ravna lächelte und versuchte Begeisterung vorzutäuschen.
Denn Phams Geschichten waren zu viel. Er glaubte aufrichtig daran, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch so viel tat, so viel sah. Seinerzeit auf Relais hatte sie behauptet, seine Erinnerungen seien synthetisch, ein kleiner Scherz des ALTEN. Sie war sehr wütend gewesen, als sie es sagte, und mehr als alles wünschte sie, es nie gesagt zu haben – denn es war so offensichtlich wahr. Grünmuschel und Blaustiel bemerkten es nie, aber manchmal kam es vor, dass Pham mitten in einer Geschichte ins Stocken geriet und ein Ausdruck schwer verhohlener Panik in seine Augen trat. Irgendwo im Innern kannte auch er die Wahrheit, und sie fühlte unvermittelt den Wunsch, sich an ihn zu kuscheln, ihn zu trösten. Es war, wie wenn man einen schrecklich verwundeten Freund hat, mit dem man reden, niemals jedoch einander das Ausmaß der Verletzungen eingestehen kann. Statt dessen tat sie so, als gäbe es die Brüche nicht, und lächelte oder lachte über den Rest seiner Geschichte.
Und der Witz des ALTEN war so völlig unnötig. Pham brauchte kein großer Held zu sein. Er war ein anständiger Mensch, wenngleich egozentrisch und eine Art Spielverderber. Er hatte allemal so viel Beharrlichkeit wie sie, und mehr Mut.
Welche Kunstfertigkeit musste der ALTE besessen haben, um solch eine Person zu erschaffen, welche… Macht. Und wie sehr sie ihn hasste, auf Kosten solch einer Person einen Scherz gemacht zu haben.
Phams Gottsplitter machten sich kaum bemerkbar. Dafür war Ravna sehr dankbar. Ein- oder zweimal im Monat überkam ihn eine Art Trance. Ein, zwei Tage danach kaprizierte er sich dann auf ein neues Projekt, oft etwas, das er nicht deutlich erklären konnte. Aber es wurde nicht schlimmer, er trieb nicht von ihr fort.
»Und vielleicht retten uns die Gottsplitter letzten Endes«, sagte er, wenn sie den Mut aufbrachte, ihn danach zu fragen. »Nein, ich weiß nicht.« Er tippte sich an die Stirn. »Das da oben ist immer noch Gottes eigener Gerümpelboden. Und es sind mehr als Erinnerungen. Manchmal brauchen die Gottsplitter zum Denken meinen ganzen Geist, dann ist da kein Platz mehr für mein eigenes Bewusstsein, und danach
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