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Ein Feuer Auf Der Tiefe

Ein Feuer Auf Der Tiefe

Titel: Ein Feuer Auf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
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durch ihren Kopf zu schwirren schien. »Wie ist dein Name?«
    Johanna wusste, dass das alles Teil des Programms war. Die Kreatur konnte unmöglich die einzelnen Wörter verstehen, die sie sagte. Dieses Paar ›mein Name, dein Name‹ wurde immer wieder zwischen den Kindern im Sprachprogramm wiederholt. Letzten Endes würde es sogar eine Pflanze begreifen. Allerdings, die Aussprache des Klauenwesens war so perfekt…
    »Mein Name ist Johanna«, sagte sie.
    »Schohanna«, sagte das Rudel mit Johannas Stimme und teilte den Stimmfluss falsch auf.
    »Johanna«, korrigierte Johanna. Sie würde nicht einmal versuchen, den Namen des Klauenwesens auszusprechen.
    »Hallo, Johanna. Lass uns das Namensspiel spielen!« Das war auch aus dem Programm, samt der dummen Begeisterung. Johanna setzte sich. Gewiss, wenn sie Samnorsk lernten, würden die Klauenwesen Macht über sie gewinnen…, aber es war die einzige Möglichkeit, wie Johanna etwas über sie herausfinden konnte, der einzige Weg, etwas über Jefri zu erfahren. Und wenn sie Jefri auch umgebracht hatten? Nun gut, sie würde lernen, ihnen so weh zu tun, wie sie es verdienten.

 
     
DREIZEHN
     
    In Holzschnitzerheim und dann – ein paar Tage später – auch auf Flensers Verborgener Insel gingen die langen Tage des arktischen Sommers zu Ende. Zunächst wurde es gegen Mitternacht, wenn selbst der höchste Berg im Schatten lag, etwas dämmrig. Und dann nahmen die Stunden der Dunkelheit schnell zu. Der Tag kämpfte gegen die Nacht, und die Nacht war am Gewinnen. Das Federlaub in den tiefen Tälern färbte sich herbstlich. Wenn man im Tageslicht einen Fjord hinauf schaute, sah man Orangerot auf den Hügeln, dann das Grün des Heidekrauts, das unmerklich ins Grau der Flechten überging, und schließlich das dunklere Grau der nackten Felsen. Die Schneeflecken warteten auf ihre Zeit, bald würde sie kommen.
    Bei jedem Sonnenuntergang, Tag für Tag ein paar Minuten früher, ging Tyrathect die Wälle von Flensers Außenmauer ab. Es war ein Weg von drei Meilen. Die unteren Ebenen wurden von Postenketten bewacht, hier oben aber gab es nur ein paar Ausguckposten. Wenn sie sich näherte, traten sie mit militärischer Exaktheit zur Seite. Mehr als militärische Exaktheit: sie sah die Angst in ihren Augen. Es war schwer, sich daran zu gewöhnen. Fast seit sie klare Erinnerungen besaß – seit zwanzig Jahren –, hatte Tyrathect in Furcht vor anderen gelebt, mit Scham und Schuldgefühlen, auf der Suche nach jemandem, dem sie folgen könnte. Nun war das alles auf den Kopf gestellt. Es war keine Verbesserung. Sie kannte nun von innen her das Böse, dem sie sich hingegeben hatte. Sie wusste, warum die Wachtposten sie fürchteten. Für sie war sie wirklich Flenser.
    Natürlich ließ sie sich diese Gedanken niemals anmerken. Ihr Leben war nur so sicher wie die Quellen ihres Betrugs. Tyrathect hatte hart daran gearbeitet, ihr natürliches scheues Verhalten zu unterdrücken. Seit sie auf die Verborgene Insel gekommen war, hatte sie sich kein einziges Mal bei ihrer alten Gewohnheit ertappt, verlegen die Köpfe zu senken und die Augen zu schließen.
    Statt dessen verfügte Tyrathect über den stechenden Blick Flensers – und sie machte Gebrauch davon. Ihr Rundgang auf der Mauerkrone war so geradezu und unheilschwanger, wie nur jemals bei Flenser. Sie ließ über ihr – sein – Herrschaftsgebiet denselben harten Blick wie früher schweifen, alle Köpfe vorn, als sähe sie eine Vision weit jenseits des niederen Verstandes ihrer Jünger. Sie durften niemals erraten, warum sie wirklich diese Spaziergänge bei Sonnenuntergang unternahm: eine Zeit lang waren die Tage und Nächte wie in der Republik. Fast konnte sie sich vorstellen, wieder dort zu sein, vor Flensers Bewegung und dem Massaker in der Parlaments-Senke, bevor sie ihr die Kehlen durchgeschnitten und Teile von Flenser mit den Stümpfen ihrer Seele gepaart hatten.
    In den goldenen und braungelben Feldern jenseits der Außenwälle konnte sie Bauern sehen, die sich um die Felder und die Herden kümmerten. Flenser beherrschte Länder weit über ihr Blickfeld hinaus, doch er hatte niemals Nahrungsmittel importiert. Das Korn und das Fleisch, die die Speicher füllten, waren alle nicht weiter als zwei Tagesmärsche von der Meerenge entfernt erzeugt worden. Die strategische Absicht war klar, doch immerhin sorgte das für ein friedliches Abendbild und weckte Erinnerungen an ihr Zuhause und ihre Schule.
    Die Sonne glitt seitlich in die Berge, lange

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