Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)
Aussteigern … na ja, nicht Grund, aber Anlaß.«
»Immerhin nennen Sie es Besessenheit«, sagte Matzbach.
»Natürlich. Aber es hat relativ wenig Bedeutung. Sagen wir mal so: Wenn Gott ein unendlicher, unfaßbarer Geist ist, wäre es absurd anzunehmen, daß ihn der Umgang der bestenfalls amöbengroßen Menschen mit ihren Körperteilen interessiert. Wenn wir aber für ihn interessant sind, wäre es ebenso absurd anzunehmen, unser Umgang mit unseren Körperteilen interessierte ihn nicht.«
»Wird das jetzt Augustinus – ich glaube,
weil
es absurd ist?«
Mertens schüttelte den Kopf. »Nein. Oder – ja, das auch, aber das ist nicht so wichtig. Wenn man sich dem unendlichen Geist Gottes widmet, werden die eigenen Teile bedeutungslos.« Er schien zu zögern; nach ein paar Atemzügen sagte er: »Irgendwann kam ich mit den beiden fundamentalen Behauptungen, für die es keinerlei … tja, Fundament gibt, nicht mehr zurecht. Daß die Vertreibung aus dem Paradies einen Sündenfall darstellt, einen Erbsündenfall, der erlösungsbedürftig sein soll. Und daß der unendliche Geist es für nötig befunden habe, sich in einer seiner möglichen Emanationen selbst umbringen zu lassen, um die Erlösung zu bewirken. Das hätte er einfacher haben können. Wenn es denn überhaupt nötig war.«
Yü verschränkte die Arme vor der Brust. »Diese westlichen Mysterien«, sagte er, »verwirren mich, aber ich bin ja auch nur ein östlicher Heide. Angesichts der Übervölkerung des Globus scheint mir, man legt zuviel Wert auf Säuglinge – ob diese nun in Bethlehem in einer Krippe liegen oder in Klitterbach aus einer Wiege gestohlen werden.«
»Ach, haben Sie davon gehört?« Der Wirt klang beinahe erleichtert.
»Wenn man nicht die Augen und die Ohren schließt, läßt sich so etwas dank unserer Medien nicht ignorieren«, sagte Matzbach.
Mertens nickte. »Komische Sache, nicht wahr? Vor allem, daß die Kidnapper sich nicht mehr gemeldet haben.«
»Frau Fleißner« – Yü hüstelte – »schien mir nicht arg bekümmert, gestern abend. Aber vielleicht ist sie ja nur ungeheuer beherrscht.«
»Zweifellos ist sie Herrin ihrer Gefühle. Aber Sie haben das ganz gut beobachtet, würde ich sagen. Irgendwie wirkte sie von Anfang an – tja, wie soll man das nennen? Kühl, unbeteiligt?«
»Ich nehme an, das Dorf hat großen Anteil genommen, oder?« sagte Matzbach.
Mertens drückte seine Zigarette aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Na ja«, sagte er langsam, »das Dorf, müssen Sie wissen, ist irgendwie nicht sehr … anteilnehmerisch veranlagt.«
»Wie darf man das verstehen?«
»Das ist ganz einfach. Es gibt ein paar Einheimische und ein paar Zugereiste – wenn ich das mit halbem Ohr richtig registriert habe, haben Sie doch gestern mit Lemberger über etwas Ähnliches geredet. Die Beziehungen zwischen beiden Gruppen sind nicht besonders herzlich, um das mal so auszudrücken. Abgesehen davon, daß es keine Gruppen sind. Es gibt zwischen den Einheimischen alte Freunde und alte Feinde, es gibt zwischen den Zugereisten Freunde und Feinde, und zwischen beiden Gruppen nicht allzu viel Kontakt.«
»Christliches Abendland, mit anderen Worten.«
»Na ja, das besteht ja nicht nur aus gegenseitigen Abneigungen«, sagte Mertens.
»Eigentlich könnten Sie doch ein bißchen Schwarzarbeit übernehmen – schwarz die Messe lesen, solange der Pfarrer zur Kur ist.« Matzbach blies zur Abwechslung einmal einen gelungenen Rauchring. »Oder eine Schwarze Messe.«
»Hat meine Frau auch schon vorgeschlagen.« Mertens blickte in Richtung Küche, von wo das Scheppern großer Behältnisse zu hören war. Er räusperte sich und rief: »Louise! Frau Behrendt!«
Das Scheppern endete, und aus dem Durchgang zur Küche kam eine üppige, dunkelhaarige Mittvierzigerin. Sie hatte die Ärmel ihres grüngelben Flanellhemds aufgekrempelt und trug mit bunten Flicken besetzte Jeans. Aus den Sandalen vom Typ Birkenstock & Mutterglück lugten kräftige Zehen (›Greifzehen‹, dachte Matzbach) mit knallroten Nägeln.
»Guten Morgen.« Die Stimme war ein angenehmer, etwas kantiger Alt. Sie nickte Yü zu und reichte Matzbach die Hand. Beinahe entschuldigend sagte sie: »Ihren Freund habe ich ja gestern abend schon kennengelernt; Sie müßten dieser Matzbach sein.«
Baltasar hatte sich vorschriftsmäßig erhoben; er führte die rauhe Hand der Wirtin bis einen Zentimeter vor seine Lippen und sagte:
»Yü hat ein ungewöhnlich schweres Verbrechen begangen;
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