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Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)

Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition)

Titel: Ein Feuerwerk für Matzbach: Baltasar Matzbachs achter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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wenn Sie darauf bestehen …«
    Der Kleine stieg auf einen Stuhl, klatschte in die Hände und rief: »Bitte um Gehör! Herr Matzbach, der eine Anthologie der schlechtesten Gedichte der deutschen Literatur zusammenstellt, wird uns jetzt eine Kostprobe geben.«
    Hier und da wurde gemurrt; die meisten Gesichter zeigten jedoch einen beinahe erwartungsvollen Ausdruck. Erwartung, sagte sich Baltasar, einer gewissen Zerstreuung, deren miserable Qualität vorausgesetzt, aber mangels interessanterer Angebote hingenommen wurde.
    »Wenn Sie mich so nett auffordern«, sagte er, »will ich die allgemein verbreitete Abneigung gegen Lyrik ein wenig fördern. Zwei Beispiele, wenn Sie so lange lauschen mögen. Das erste ist kurz und schmerzlich, das zweite lang und finster. Passend, wie Sie zugeben werden, zu einem Sonntagabend.
    Der erste Text, ein Sonett, leidet unter dem Titel ›Gesang der Frauen an den Dichter‹. Wie sich Klein Fritzchen, als er die ersten Reime schmierte, den Ansturm der Damen auf seine Person vorgestellt hat.
    Sieh, wie sich alles auftut: so sind wir;
    Denn wir sind nichts als solche Seligkeit.
    Was Blut und Dunkel war in einem Tier,
    das wuchs in uns zur Seele an und schreit
    als Seele weiter. Und es schreit nach dir.
    Du freilich nimmst es nur in dein Gesicht,
    als sei es Landschaft: sanft und ohne Gier.
    Und darum meinen wir, du bist es nicht,
    nach dem es schreit. Und doch, bist du nicht der,
    an den wir uns ganz ohne Rest verlören?
    Und werden wir in irgendeinem
mehr
?
    Mit uns geht das Unendliche
vorbei
.
    Du aber sei, du Mund, daß wir es hören,
    du aber, du Uns-Sagender: du sei.
    »Um Gottes willen, von wem ist denn dieser Stuß?« sagte Lemberger, als das Kichern und Stöhnen endete.
    »Ich verrate es Ihnen gern – Rainer Maria Rilke.« Matzbach schnitt eine Grimasse. »Ein alter Bekannter, der längst den Löffel abgegeben hat, wollte einmal Rilke ins Deutsche übersetzen. Ich weiß nicht, ob er
daran
gestorben ist.«
    »Und das zweite soll noch schlimmer sein?« sagte Lauritzen. »Lieber brech ich mir auch noch den anderen Fuß.«
    Es gab Kommentare von verschiedenen Seiten, was Matzbach ausnutzte, um Yü zuzuflüstern: »Achte bitte auf die Gesichter der Fleißners, ja?«
    Dann wandte er sich an die Versammlung. »Der Verfasser des zweiten Werks ist einer unserer erlauchtesten Klassiker; den Namen nenne ich Ihnen später. Das Gedicht heißt: ›Eine Leichenfantasie‹.
    Mit erstorbenem Scheinen
    Steht der Mond auf totenstillen Hainen,
    seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft –
    Nebelwolken schauern,
    Sterne trauern
    Bleich herab wie Lampen in der Gruft.
    Gleich Gespenstern, stumm und hohl und hager,
    zieht in schwarzem Totenpompe dort
    ein Gewimmel nach dem Leichenlager
    unterm Schauerflor der Grabnacht fort.
    Zitternd an der Krücke
    Wer mit düsterm, rückgesunknem Blicke
    Ausgegossen in ein heulend Ach,
    schwer geneckt vom eisernen Geschicke
    schwankt dem stummgetragnen Sarge nach?
    Floß es ›Vater‹ von des Jünglings Lippe?
    Nasse Schauer schauern fürchterlich
    Durch sein gramgeschmolzenes Gerippe,
    seine Silberhaare bäumen sich.
    Aufgerissen seine Feuerwunde!
    Durch die Seele Höllenschmerz!
    ›Vater‹ floß es von des Jünglings Munde,
    ›Sohn‹ gelispelt hat das Vaterherz.
    Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche …«
    Bis hierhin hatte Baltasar mit dröhnendem Baß deklamiert, die besonders wirksamen Vokale duumpf und hoohl und haager gemacht; darin fuhr er fort zum Schluß der Strophe. Es folgte der herzige, beschwingte Rückblick auf die Erwartungen der strahlenden Jugend:
    »Mild, wie umweht von Elysiumslüften,
    wie aus Auroras Umarmung geschlüpft,
    himmlisch umgürtet mit rosigen Düften,
    Florens Sohn über das Blumenfeld hüpft,
    flog er einher auf den lachenden Wiesen,
    nachgespiegelt von silberner Flut,
    Wollustflammen entsprühten den Küssen,
    jagten die Mädchen in liebende Glut …«
    Diesen Teil trällerte Matzbach beinahe und begleitete alle hüpfenden Verse mit Hand- und Fingerbewegungen, wie sie, sagte er sich, einer verfetteten balinesischen Tänzerin mißlingen mochten, falls sie versuchen sollte, das Flattern einer Kreuzung aus Elefant und Kolibri darzustellen. Es kostete ihn allerdings Mühe, in der Zeile »wenn erst die schlafenden Keime gereift« darauf zu verzichteten, »Reime gekeift« zu sagen.
    Schließlich kamen die düster-dumpfig dräuenden Drangsale des Schlusses:
    »Dumpfig schollert’s überm Sarg zum Hügel –
    O, um Erdballs

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