Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
Schuld für ein Verbrechen auf sich genommen, das er nicht begangen hatte. Dreißig Jahre lang hatte er seinen Freund dadurch vor dem Gesetz bewahrt. Nie war der Unbekannte für seine Tat zur Rechenschaft gezogen worden. Nun würde sie vielleicht erfahren, um wen es sich handelte. Die Vorstellung machte sie nervös, bereitete ihr sogar ein wenig Angst.
Vor dem einzigen Gasthof des Ortes brachte Nicholas die Pferde zum Stehen. Ungeduldig rief er nach einem Burschen, der sich um die Tiere kümmern sollte. Ein alter Pferdeknecht, dem nie zuvor die Verantwortung für derart edle Hengste übertragen worden war, kam herbeigehumpelt. Sein zahnloses Lächeln verriet, wie stolz er auf die ihm zugewiesene Aufgabe war.
Nicholas bat Serena, auf einer Bank vor dem Gasthof zu warten, und verschwand selbst in dem nicht sehr einladend wirkenden Gebäude. Fünf Minuten mochten vergangen sein, ehe er zurückkehrte. Serena hatte sich die Zeit damit vertrieben, zwei spielende junge Hunde zu beobachten und immer wieder zu den Stallungen hinzuschauen, in die der alte Knecht Nicholas’ Braune geführt hatte. Der Phaeton stand verlassen im Hof, wo er ein merkwürdiges Bild abgab.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte Nicholas, als er Serenas angespannte Miene bemerkte.
„Ich bin ein bisschen nervös“, gab sie zu.
„Der Wirt konnte die meisten meiner Fragen beantworten. Eliza Cooper hat vor vielen Jahren geheiratet und heißt jetzt Baker. Inzwischen ist sie verwitwet. Aber sie wohnt nach wie vor im Dorf. Ich habe mir den Weg zu ihrem Cottage beschreiben lassen.“
„Oh …“
„Serena?“
Besorgt betrachtete er ihr blasses Gesicht.
„Ich fühle mich ziemlich … schwach. Verzeihen Sie …“
„Bei Jupiter, dieses Benehmen ist ganz und gar untypisch für Sie! Kommen Sie, bringen wir es hinter uns!“
Sie bemühte sich zu lächeln. „In den letzten Tagen ist so viel passiert.“
Er lachte laut auf. „Wie wahr!“
Noch immer war Serena nicht aufgestanden. „Es ist vielleicht albern“, begann sie, „aber ich habe ein äußerst ungutes Vorgefühl. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, dass ich hören möchte, was diese Frau uns zu sagen hat.“
„Das kann ich nicht glauben!“ Nicholas versuchte nicht, sein Erstaunen zu verbergen. „Natürlich könnten wir einfach nach London zurückfahren. Aber ich bin sicher, Sie würden es später bereuen, der Sache nicht auf den Grund gegangen zu sein.“
„Aber wenn sich herausstellt, dass doch Papa der Schuldige ist …“, murmelte sie.
Noch nie hatte Nicholas sie so nervös und verunsichert erlebt. Daher wählte er seine Worte mit Bedacht: „Halten Sie das wirklich für möglich?“
„Ich weiß es nicht.“ Sie starrte auf ihr Retikül, dessen Bändchen inzwischen hoffnungslos verknotet waren, weil sie unbewusst mit ihnen gespielt hatte. „Papa war auf jeden Fall davon überzeugt, unschuldig zu sein. Ich selbst allerdings bin inzwischen nicht mehr sicher, dass er sich selbst gegenüber stets ehrlich war.“
„Das könnte ein Problem sein“, gab Nicholas zu. „Trotzdem glaube ich, dass Sie lieber mit einer schmerzlichen Wahrheit leben wollen als mit einer großen Ungewissheit.“
„Sie haben recht.“ Entschlossen erhob sie sich von der Bank.
„Serena?“ Er betrachtete sie nachdenklich. Wie schön sie war mit den strahlend blauen Augen und den goldenen Locken! Und wie sehr ihr leidenschaftliches Wesen ihm gefiel! Er wollte sie nicht verlieren! Sie aber wollte weder seine Mätresse noch seine Gattin sein. Was sollte er nur tun?
„Ja?“ Sie wartete darauf, dass er ihr irgendetwas Bedeutungsvolles sagen würde.
„Später. Lassen Sie uns erst einmal Mrs. Baker finden. Ich bin gespannt, ob von ihren damaligen weiblichen Reizen noch etwas übrig ist.“
Jetzt lachte Serena. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Nach dreißig Jahren?“
Sie sollte recht behalten. Die Frau, die ihnen öffnete, war dick und roch unangenehm. „Mrs. Baker?“, fragte Serena. „Ehemals Miss Eliza Cooper?“
Die Frau entblößte ein paar schlechte Zähne, als sie lächelnd erwiderte: „Den Namen hab ich schon lange nich’ mehr gehört.“ Neugierig musterte sie Serena. „Und wer sin’ Sie?“
„Mein Name ist Stamppe. Ich denke, Sie haben meinen Vater gekannt, Philip Stamppe.“
Mrs. Baker runzelte die Stirn. „Ob ich ihn gekannt hab? Er hat mein’ Bruder umgebracht.“
„Das ist nicht wahr. Und Sie wissen es. Der Mann, der Ihren Bruder getötet
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