Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
ist Lady Serena.“
Die zukünftige Lady Avesbury war, wie Charles vor einiger Zeit so treffend gesagt hatte, ein nettes kleines Ding. Sie war nicht besonders hübsch, aber keineswegs hässlich. Sie hatte eine gute Erziehung genossen und besaß ein sanftes Wesen. Allerdings war sie sehr zurückhaltend, und größere Menschenansammlungen machten sie nervös.
Das konnte man auch jetzt beobachten. Schweigend nickte sie erst Georgie und dann Serena zu. Nicholas fiel auf, dass sie den Blick senkte, als Serena ihr zulächelte. Auch war ihm nicht entgangen, dass die Mutter der Braut sich Serena gegenüber sehr kühl gezeigt hatte. Offenbar machten die unangenehmen Folgen der Gerüchte, die über die junge Dame im Umlauf waren, sich bereits bemerkbar.
Im Ballsaal allerdings fand Serena sich gleich inmitten einer Gruppe von Bewunderern wieder. Auch Georgie wurde von mehreren Gentlemen gleichzeitig mit Bitten um einen Tanz bestürmt. Aber waren es wirklich ebenso viele wie noch vor ein paar Tagen? Nicholas war sich dessen nicht ganz sicher. Er fühlte sich miserabel, weil er womöglich nicht nur für Serenas gesellschaftliche Ächtung, sondern auch für die nachlassende Beliebtheit seiner Schwester, die man oft in Begleitung ihrer älteren Freundin gesehen hatte, verantwortlich war.
Nachdem er sich am Nachmittag von Charles Avesbury getrennt hatte, war er eine Zeit lang recht optimistisch gewesen. Vielleicht hatte Charles recht, vielleicht wartete Serena wirklich nur auf eine Liebeserklärung, ehe sie ihm ihr Jawort gab. Doch Frances Eldons Informationen hatten seiner guten Laune einen kräftigen Dämpfer versetzt. Es gab so viel, das zwischen ihm und seinem Glück stand. Die Art, wie er Serena behandelt hatte, das Verbrechen seines Vaters und nun auch noch das, was er von Eldon erfahren hatte.
Am schlimmsten war natürlich, dass er selbst Serena wehgetan hatte. Sie hatte ihm das noch nicht verziehen, wie er deutlich sehen konnte. Ihre Augen, die ihn sonst stets voller Wärme anschauten, blickten heute kühl und abweisend. Ihre zärtlichen Gefühle, deren er sich für kurze Zeit so sicher gewesen war, schienen sich in nichts aufgelöst zu haben.
Er hingegen war sich inzwischen ganz sicher, dass er Serena liebte. Doch würde er sie für sich gewinnen können, wenn er ihr seine Liebe gestand? Seine Zweifel wuchsen von Minute zu Minute. Entmutigt sagte er sich, dass es einfach zu viel gab, das sie ihm hätte verzeihen müssen. Gut, sie war von Natur aus großherzig und würde ihm vielleicht alles vergeben. Doch es bestand auch die Möglichkeit, dass sie nur Mitleid für ihn empfand. Und das würde er nicht ertragen.
Wenn er wenigstens Gelegenheit gehabt hätte, mit ihr allein zu sprechen! Aber das war während des Balls ganz unmöglich. Er konnte sie nicht einmal guten Gewissens zum Tanzen auffordern, denn das hätte den Gerüchten neue Nahrung gegeben. Nicholas beobachtete Serena von fern und war der Verzweiflung nahe.
Er ahnte nicht, dass Serena, die scheinbar unbeschwert mit ihren Bewunderern plauderte, lachte und tanzte, ihn ebenfalls nicht aus den Augen ließ. Sie sah, wie er sich ins Kartenzimmer zurückziehen wollte, ohne sie auch nur um einen einzigen Tanz gebeten zu haben. Dabei wusste er doch, dass dies ihr letzter Londoner Ball war. Entschlossen wandte sie sich zu ihm um und rief: „Mr. Lytton!“
Er blieb stehen und schaute sie mit finsterer Miene an.
„Mr. Lytton, ich bin für alle Tänze bis auf einen vergeben. Doch diesen einen habe ich für Sie reserviert.“
Verflucht, jeder im Saal schien sie jetzt zu beobachten.
Das war Serena ebenso bewusst wie ihm. Herausfordernd schaute sie ihn an. Wenn er sie abwies, würde das ihrem Ruf nicht weniger schaden, als wenn er mit ihr tanzte. Er straffte die Schultern. „Es ist mir eine Ehre, Lady Serena. Dürfte ich um den letzten Tanz bitten?“ Dann zog er sich mit einer kleinen Verbeugung zurück. Er würde im Kartenzimmer bleiben, wo er sich nicht der Qual ausgesetzt sah, zuschauen zu müssen, wie Serena von ihren Verehrern umschwärmt wurde.
Der Abend verging wie im Flug. Georgie hatte den ersten Tanz tatsächlich mit Edwin getanzt. Und Serena hatte amüsiert beobachtet, wie die beiden miteinander flirteten. Wenn ihr Onkel davon gewusst hätte, wäre er vermutlich sehr ärgerlich gewesen.
Einige Quadrillen, Walzer und Kontertänze später machte das Orchester eine Pause, weil das Mitternachtssouper bereit stand. Als Serena den Raum betrat, in dem das
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