Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
hatte. Weinberg. Straubinger hatte angemerkt, dass es zu gefährlich sei, den Arzt in Berlin aufzusuchen, dass Krauss damit alle Beteiligten einem zu hohen Risiko aussetzen würde. Aber ihm fiel keine andere Lösung ein. Ohne kompetente Hilfe würde er Oda verlieren. Wo er sie doch gerade erst gefunden hatte. Alles wäre vergeblich gewesen, ihre Flucht mit Philipp und jetzt der Tod von Miller und Baldwin. Das durfte nicht sein. Unbewusst mahlte er mit den Zähnen, bis seine Kiefergelenke knackten.
Straubinger saß am Steuer, Krauss hinten im Wagen. Oda lag gekrümmt neben ihm auf der Rückbank, ihr Kopf ruhte auf seinem Schoß, die Augen geschlossen. Sie war bewusstlos. Krauss hatte mehrfach versucht, sie mit einem sanften Klaps ins Gesicht zurückzuholen, vergebens. Welcher Stoff auch in ihrem Organismus zirkulierte, er bewirkte, dass sie allmählich hinwegdämmerte. Fort von ihm. Krauss hatte nicht die geringste Vorstellung, womit der Pfeil wohl getränkt war. Irgendein heimtückisches Gift. Etwas, von dem der Schütze glaubte, dass es sicherer tötete als eine Kugel, sonst hätte er es nicht benutzt. Dieser verfluchte Teufel. Krauss dachte an ihren Verfolger. Den Mann mit dem Zopf. Hansen. Oda hatte diesen Namen bei der Flucht aus dem Verlies erwähnt. Sie sagte, Hansen habe ihr am Vorabend ein Mittel eingeflößt, deshalb sei sie wackelig auf den Beinen. Er musste es sein.Krauss erinnerte sich, dass der Kerl zuerst eine lederne Tasche in der Hand hatte. Er wollte zu Oda. Ihr wieder eine seiner Mixturen verabreichen. Kein Zweifel. Hansen war der Mann, der ihren Plan durchkreuzt hatte. Der große Unbekannte. Ein Giftmischer und Meisterschütze. Schnell und entschlossen. Miller und Baldwin gingen auf sein Konto. Vielleicht bald auch Oda. Krauss schlug mit der Rechten auf die Rückenlehne vor ihm. Straubinger wandte sich erschrocken um.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich bringe das Schwein um«, zischte Krauss in die Dunkelheit.
Straubinger sparte sich einen Kommentar. Daran, wer gemeint war, gab es keinen Zweifel. Genauso wenig wie daran, was er verdient hatte.
Draußen dämmerte es. Sie waren von Neuhaus aus durchgefahren, hatten die Außenbezirke Berlins erreicht, ohne in eine Kontrolle zu geraten. Zum Haus der Weinbergs wollten sie erst im Schutz der Dunkelheit. Trotzdem war es heikel. Sogar mehr als das. Straubinger hatte recht. Sie brachten die Familie in höchste Gefahr. Als sie wenige Meter vom Haus entfernt parkten, war Krauss kurz davor, die Sache abzublasen. Da entfuhr Oda ein leises Stöhnen. Auf ihrer Stirn perlten Schweißtropfen, trotz der Kälte. Wenn ihr nicht bald geholfen wurde, war es zu spät.
»Du sondierst die Lage«, sagte Krauss zu Straubinger. Der stieg aus, um die Weinbergs vorzubereiten und nachzusehen, ob die Familie gerade Gäste hatte oder Patienten versorgte. Nach drei Minuten kehrte Straubinger zurück, sah sich um, öffnete die Fondtür.
»Sie machen mit«, sagte er. Krauss rutschte raus, zog Oda aus dem Wagen, nahm sie auf die Arme. Sie war schwer, atmete unregelmäßig. Noch ist Leben in ihr, dachte Krauss. Er steuerte mit seiner Last auf das Haus zu, hoffte, dass keiner derNachbarn am Fenster lauerte. An der Tür wartete Inge Weinberg. Sie wirkte gleichermaßen erfreut wie besorgt.
»Hinten durch, in Ihr altes Zimmer«, sagte sie.
Krauss quetschte sich an ihr vorbei ins Haus, ging durch den Flur. Der Arzt hatte die Schranktüren weit geöffnet und war bereit, Krauss zu helfen, Oda in das verborgene Zimmer zu transportieren. Er sah hager aus, verhärmt, vom Kummer gezeichnet. Nur seine äußeren Wunden waren verheilt. Wortlos packte er Oda an den Schultern und stieg rückwärts durch den Schrank. Krauss hielt ihre Beine und folgte ihm. Das Zimmer schien unverändert. Sie legten den schlaffen Körper auf das Bett. Weinberg schob seiner neuen Patientin ein Kissen in den Nacken.
»Was ist passiert?«, fragte er, während er Odas Lider zurückzog und die Pupillen untersuchte.
»Sie hat einen Giftpfeil abbekommen«, antwortete Krauss.
Weinberg schaute ihn ungläubig an.
»Sie hat was?«
»Einer von Görings Männern hat mit einem Blasrohr auf uns geschossen. Ich habe ihr einen kleinen Pfeil aus dem Hals gezogen. Vermutlich war er mit Gift bestrichen. Oda ist kurz darauf ohnmächtig geworden und nicht mehr aufgewacht.«
Der Arzt runzelte die Stirn.
»Haben Sie den Pfeil noch?«
»Nein, ich habe ihn weggeworfen.«
»Wann ist das passiert?«
»Vor ungefähr sieben
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