Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Krauss traute sich nicht zu, hinter Hansen herzuspringen. Ermusste die Treppe hinunter, außen ums Haus herum. Das würde Hansen einen Vorsprung geben. Dafür war er fast nackt, und die Temperaturen lagen tief im Minusbereich. Lange würde er das nicht aushalten.
Krauss wandte sich vom Fenster ab, beugte sich kurz über Mortimer. Der Brite war tot. Von seiner Hand tropfte Blut. Hansen musste an eine vergiftete Klinge gekommen sein und den Agenten damit verletzt haben. Anders konnte sich Krauss das nicht erklären. Was für ein Teufelszeug. Was für ein Satan. Warum hatte er ihn nicht sofort erschossen? Er lief durch das Wohnzimmer an dem toten Mann vorbei die Treppe hinunter, um das Haus herum, die Waffe im Anschlag. Hansen konnte sich zwischen dem Schrott versteckt haben, das vergiftete Messer in der Hand. Vorsichtig drang Krauss zur Rückseite des Hauses vor, sondierte das Gelände. Rund zwanzig Meter vor ihm schwang sich Hansen gerade über den rund drei Meter hohen Zaun auf die Straßenseite. Krauss schoss, Hansen ließ sich fallen, sprang in die Hocke und spurtete los. Trotz der gefesselten Hände sah das elegant aus, wenn auch langsamer als möglich. Krauss gab zwei weitere Schüsse ab, dann war das Magazin leer. Fluchend rannte er auf den Zaun zu, hangelte sich mühsam hoch. Der Draht schnitt in seine Finger. Er klemmte ein Bein über die Kante, zog den Oberkörper nach, verlagerte den Schwerpunkt auf die andere Seite und ließ sich vorsichtig hinab.
Wieder auf festem Boden, hielt er Ausschau nach Hansen. Rund hundertfünfzig Meter entfernt lief eine Gestalt durch die Dunkelheit. Das musste er sein. Krauss sprintete los. Zum Glück waren die Straßen um diese Zeit menschenleer. Aber das würde sich bald ändern. Um sechs Uhr begann für viele die Frühschicht. Schon jetzt waren irgendwo die ersten Arbeiter unterwegs. Ihm blieb nicht viel Zeit, um Hansen zu erledigen. Der Bursche rannte trotz der widrigen Bedingungenwie ein Wiesel. Krauss keuchte, die eiskalte Luft brannte in seinen Lungen. Andauernd rutschte er im Schnee aus, fing sich, hetzte weiter. Aber der Abstand verringerte sich nicht. Krauss hörte ein Fahrzeug hinter sich näher kommen, drehte sich im Laufen um. Es war ein Dreirad-Lieferwagen, ein Gutbrod. Der Wagen klapperte auf Krauss zu. Er hob die Waffe, stellte sich dem Dreirad in den Weg. Die Fahrertür öffnete sich, ein verhärmter Mann stieg aus.
»Nicht schießen«, sagte er.
»Verschwinde«, schnauzte Krauss, stieg ins Führerhaus und gab Gas. Der Gutbrod war zwar kein Rennwagen, aber schneller als ein Mensch. Hansen bog weit vor ihm um eine Ecke. Sekunden später war Krauss zur Stelle, folgte ihm. Hundert Meter vor ihm querte Hansen die Straße, warf ihm einen Blick zu. Sein Laufstil sah merkwürdig aus, mit den Handschellen vor der Brust. Aber er kapitulierte nicht. Krauss drückte das Gaspedal bis ins Bodenblech. Der Zweizylinder heulte laut auf und trieb den Gutbrod durch die schneenasse Straße. Krauss holte auf. Er schrie. Nein! Das durfte nicht sein. Hansen stolperte auf einen Mann zu, der den Bürgersteig vor seinem Haus mit einem Schneeschieber räumte. Krauss hielt auf Hansen zu. Der hatte den Mann bereits erreicht, schnappte sich den Schneeschieber und warf ihn mit dem Stiel voran in Richtung des Lieferwagens. Während sich Krauss noch fragte, wie Hansen mit seinen gefesselten Händen einen vernünftigen Wurf hinbekommen wollte, brach der Schieber durch die Windschutzscheibe. Instinktiv riss Krauss das Lenkrad herum, der Gutbrod schlingerte, bekam Schlagseite, kippte um und rutschte einige Meter durch den Schnee. Der Motor drehte auf und erstarb mit einem hässlichen Klockern. Krauss lag verdreht auf dem Boden, schien aber unverletzt. Mit Sicherheit hatte der Lärm einige Leute aus den Betten gerissen. Nicht nur Hansen, auch die Zeit lief ihm davon.Krauss winkelte die Beine an und trat gegen die Tür über ihm. Sie krachte auf. Ein Kopf schaute rein. Es war nicht Hansens.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Mann.
Krauss nickte und kroch aus dem Führerhaus.
»Wo ist er hin?«, fragte er.
»Da runter«, sagte der Mann und wies mit der Hand die Straße lang. Es war niemand mehr zu sehen. Hansen hatte seine Chance ergriffen.
»Was war’n das für ein Verrückter?«, fragte der Mann. »Der hat meinen Schieber geschleudert wie einen Speer. Mein Gott, der Kerl hatte fast nichts an. Und die Haare. Wie ein Indianer, hab ich gedacht. Und dann wirft der den Schieber.« Er brach ab,
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