Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
versuchte, sich die Hitze des Dschungels ins Gedächtnis zu rufen. Vergeblich.
Wo zum Teufel steckte Krauss? Er musste einflussreiche Verbündete haben, sonst hätten sie ihn längst erwischt. Da draußen herrschte Krieg, und da passte man aufeinander auf. Bespitzelte sich. Vielleicht arbeitete der Nachbar für den Feind oder bedrohte die nationale Sicherheit. Wer sich verdächtig machte, dessen Name war schnell bei der Gestapo. Krauss hatte es bisher geschafft, unsichtbar zu bleiben und aus dem Verborgenenheraus zu operieren. An die Informationen konnte er allerdings nicht ohne Kontakte gekommen sein. Krauss hatte gewusst, dass Oda auf Burg Veldenstein festgehalten wurde; er kannte den Bäcker, der Göring belieferte, und Hansens private Adresse. Es musste einen Verräter geben, anders war das nicht zu erklären. Einen, der Zugang zu brisanten Details hatte. Einen aus dem inneren Kreis. Vielleicht war es sogar derselbe, der den Feind über die bevorstehenden Angriffspläne unterrichtete. Verdammt! Wieso hatte er nicht eher geschaltet? Der Maulwurf agierte auf verschiedenen Ebenen, um die Position der Deutschen zu schwächen. Krauss war für ihn ein gefundenes Fressen. Er sorgte für Unruhe, lenkte ab. Hansen musste den Verräter entlarven. In seinem ureigenen Interesse. Außerdem würde er damit bei Göring punkten. Also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Hansen schloss die Augen, lehnte die Stirn ans kalte Fenster. Es lag nahe, dass die Ratte bei den »Söhnen Odins« saß. Die Abteilung hatte Zugang zu allen Details. So viele Zufälle waren unmöglich. Er erinnerte sich an sein Bauchgefühl, als er der Führungsriege vorgestellt wurde. Besonders ein Mann war ihm bekannt vorgekommen. Nur hatte er das Gesicht nicht zuordnen können. Aber er täuschte sich selten. Fast nie. Vertraute seiner Intuition. Wenigstens ihr. Hansen drehte sich abrupt vom Fenster weg und ging zur Tür, die ins Vorzimmer führte. Die Sekretärin hob den Kopf. Hansens Ton war scharf.
»Bestellen Sie Straubinger in mein Büro. Sofort.«
Eine halbe Stunde später saß Theo Straubinger vor Hansen und ruckelte unruhig auf seinem Stuhl herum. Der Stratege der »Söhne Odins« war unfähig, längeren Blickkontakt zu halten, schlug nach wenigen Sekunden die Augen nieder. Aber das allein machte ihn nicht verdächtig. Hansen war es gewohnt, dass er seine Mitmenschen beunruhigte.
»Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind«, sagte er.
»Selbstverständlich«, entgegnete Straubinger. Er machte einen gehetzten Eindruck. Der Mann hat etwas zu verbergen, dachte Hansen.
»Ich befürchte, dass der von uns gesuchte Verräter in unseren Reihen sitzt«, sagte er unvermittelt. »Bei den ›Söhnen Odins‹.«
Straubinger schaute ihn verstört an. Hansen zwang sich, nicht überzuinterpretieren. Er musste absolut sicher sein. Sonst würden Göring und Himmler ihn in die Wüste schicken.
»Was gibt Ihnen Anlass, das zu glauben?«, fragte Straubinger.
Hansen setzte ein falsches Lächeln auf.
»Aufgrund der Faktenlage bin ich nahezu sicher. Sie müssen Ihre Scheuklappen beiseitelegen und den Radius erweitern, alles akribisch rekapitulieren. Dann drängt sich die Schlussfolgerung sozusagen auf.« Er beugte sich vor und zählte mit den Fingern ab. »Erstens: Krauss wird vor dem Haus seines Bruders angeschossen, überlebt aber offensichtlich. Wer sollte ihn gerettet haben, wenn nicht ein ›Sohn Odins‹? Zweitens: Krauss überfällt Burg Veldenstein, um seine Komplizin zu befreien. Die Informationsquelle scheint mir dieselbe zu sein. Drittens: Der Feind wird über alle Termine der Operation Gelb auf dem Laufenden gehalten. Die ›Söhne Odins‹ sind über die Angriffspläne stets im Bilde. Viertens: Krauss dringt in meine Privatwohnung ein. Die Adresse kennt nur eine Handvoll Personen. Es sind fast ausschließlich ›Söhne Odins‹.«
»Das sind alles nur Vermutungen.«
Hansen lehnte sich zurück.
»Aber ziemlich stichhaltige.«
»Unsere Männer sind handverlesen. Ich würde für jeden Einzelnen meine Hand ins Feuer legen.«
»Sie sind loyal, das ehrt Sie. Aber denken Sie mal nach, Straubinger. Es muss so sein. Alles passt zusammen.«
»Haben Sie einen konkreten Verdacht?«
Jetzt wurde es spannend. Hansen stand auf, kehrte Straubinger den Rücken zu und ging ans Fenster.
»Fällt Ihnen jemand ein?«
»Sie werden mich nicht ohne Grund einbestellt haben.«
Hansen wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu.
»Sie sind ein schlauer
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