Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
den Augen verloren. Er beschleunigte die Schritte, wollte aber nicht atemlos wirken. Sollte der Reichsführer-SS doch warten. Geschah ihm nur recht, wenn er überpünktlich hier auftauchte. Während Göring auf das Portal zumarschierte, beobachtete er, wie Kropp die hintere Tür des Mercedes öffnete. Zur Überraschung des Reichsfeldmarschallsstiegen zwei Männer aus. Himmler hatte jemanden mitgebracht. Davon war nicht die Rede gewesen. Doch dieser Saukopp machte sowieso, was er wollte. Er nahm sich alle erdenklichen Freiheiten heraus, weil er Einfluss hatte und den Respekt des Führers genoss.
Göring sah, dass Kropp mit Himmler sprach und auf den heraneilenden Reichsfeldmarschall wies. Mist! Göring hatte gehofft, dass sein Kammerdiener den Besuch erst in den Salon führte und ihm dadurch die Möglichkeit verschaffte, wieder zu Atem zu kommen. Na ja, scheiß drauf, dachte er. Würde er eben aus der Not eine Tugend und Himmler ein schlechtes Gewissen machen.
»Mein lieber Himmler«, donnerte Göring aus der Distanz, »schön, dass Sie da sind. Ein Winterspaziergang belebt Körper und Geist. Das sollten Sie auch mal probieren, kann nie schaden.«
Der Reichsfeldmarschall hatte die Neuankömmlinge erreicht. Himmler blickte abfällig durch seine Nickelbrille, deren Gläser so dick waren wie der Boden eines Einweckglases.
»Wenn ich mir Ihren roten Kopf ansehe, kann das nicht gesund sein«, sagte er mit unbewegter Miene. Göring fluchte innerlich, setzte aber ein breites Grinsen auf.
»Es wirkt nur, wenn man sich anstrengt«, entgegnete er. »Und dafür müssen Sie Ihren Hintern erst mal hochkriegen.«
»Ich fühle mich gesund genug. Meine Begleitung übrigens auch, wenn zurzeit allerdings eingeschränkt durch eine Knieverletzung. Darf ich vorstellen: Untersturmführer Otto Schulz-Kampfhenkel, Wissenschaftler, Filmemacher, Buchautor. Ich nehme an, er ist Ihnen bekannt.«
»Nicht persönlich«, sagte Göring und schüttelte die Hand des schlanken, überheblich wirkenden Mannes, dessen Gesicht ihm tatsächlich vage vertraut schien. »Aber ich kenne selbstverständlich seinen Film.«
»Es ist mir eine Ehre, Exzellenz«, sagte Schulz-Kampfhenkel, der sich auf einen Stock stützte. Göring fragte sich, warum Himmler ihn mitgebracht hatte. Als könne der Reichsführer-SS Gedanken lesen, lieferte er prompt die Antwort.
»Ich habe Schulz-Kampfhenkel beauftragt, ein Gutachten über Hansen anzufertigen. Wie Sie ja sicher wissen, waren die beiden monatelang gemeinsam am Amazonas unterwegs. Niemand kennt Hansen so gut wie Schulz-Kampfhenkel.«
»Aha«, sagte Göring wenig begeistert. Was sollte er mit einem Gutachten über Hansen? Dass der Kerl irre war, daran zweifelte niemand. Die Frage war vielmehr, ob sich sein Wahnsinn kontrollieren ließ. »Herrschaften, besprechen wir das lieber im Warmen. Folgen Sie mir.«
Er ging voraus und reichte Kropp mit missbilligendem Blick seinen Pelzmantel. Göring geleitete seine Gäste durch das pompöse, mit Skulpturen geschmückte Foyer und durch einen langen, ebenfalls mit Kunstschätzen und kostbaren Teppichen dekorierten Flur in sein Arbeitszimmer. Bisher hatte noch jeder Rundgang durch Carinhall bei den Besuchern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Himmler war zwar nicht das erste Mal hier, aber Göring liebte es, den technokratischen Reichsführer-SS mit Opulenz zu erniedrigen. Schulz-Kampfhenkel dagegen sollte vor Ehrfurcht erstarren. An der Tür zu seinem Arbeitszimmer blieb Göring stehen und wandte sich an den Untersturmführer.
»Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich mit dem Reichsführer-SS erst einmal unter vier Augen sprechen muss.«
»Selbstverständlich«, sagte Schulz-Kampfhenkel eine Spur zu devot.
Göring öffnete die Tür und bat Himmler einzutreten.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte er und wies auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wein, Whiskey, Zigarre? Wer sich bewegt, darf danach sündigen.«
Himmler wedelte abweisend mit der Hand. Ich hatte nichts anderes erwartet, du stocksteifer Bürokratenhengst, dachte Göring. Er sammelte sich, hatte sich seine Strategie lange überlegt. Fehler eingestehen und Himmler den Wind aus den Segeln nehmen, um die eigenen Interessen zu wahren. Göring setzte sich.
»Hansens Verhalten ist unentschuldbar«, sagte er und registrierte zufrieden das erstaunte Funkeln hinter Himmlers Nickelbrille. Der Reichsfeldmarschall fuhr fort: »Straubinger hätte natürlich vor ein
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