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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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vor Augen hast, dort, wo du jetzt hingehst. Aber in der Hölle ist man sicher noch erfindungsreicher als ich, was meinst du?« Er lachte leise. Krauss wollte nur noch, dass es vorbei war. Dass er diese Stimme nicht mehr hören musste. Er hob den Kopf.
    »Bring es zu Ende«, sagte er.
    Hansen zielte mit ausgestrecktem Arm auf ihn, nahm sich Zeit. Viel Zeit.
    »Weißt du, wie sie mich im Busch genannt haben? Ich war der Jäger. Der Meisterschütze. Weil ich nie danebengeschossen habe.«
    Krauss hörte, wie der Hahn einrastete.
    »Grüß die Hölle von mir«, sagte Hansen und drückte ab.
    Oda, dachte Krauss, bevor die Welt verschwand.

DRITTER TEIL

32.
Y VOIR, B ELGIEN
    10. Juni 1940
Hochsitz bei Dinant
    Das Reh schaute Göring aus feuchtbraunen Kulleraugen an. Was für ein Prachtexemplar, dachte der Reichsfeldmarschall. Er legte an, zielte, hoffte auf einen Blattschuss.
    »Warum tötest du so viele Unschuldige?«, fragte das Reh vorwurfsvoll. Vor Schreck verriss Göring die Flinte, und der Schuss ging daneben. Das Reh blieb wie angewurzelt stehen. Göring rieb sich die Augen, doch das Tier verschwand nicht. Zum Kuckuck, dachte er, was soll das?
    »Irgendwann wirst du Rechenschaft ablegen müssen für das Morden, dessen bist du dir hoffentlich bewusst«, sagte das Reh.
    »Zieh Leine! Behalt deine Ratschläge für dich«, rief Göring. Ich bin verrückt, ich spreche mit einem Reh, dachte er.
    »Es geht immer nur um das Töten, um Dominanz. Das ist deine Vorstellung von Leben. Leben heißt aber, das andere zu respektieren. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, gebietet Gott. Warum hältst du dich nicht daran? Gott wohnt in allen Kreaturen. In mir, selbst in dir.«
    Woher wusste dieses Stück Wildbret auf vier Beinen von Gott? Was sollte das Gefasel?
    »Ich glaube nicht an Gott!«, schrie er. »Ich glaube an mich. Hier bin ich Gott. Und ich nehme Leben, wie es mir gefällt.«
    Hastig hob er die Flinte und visierte das vorlaute Viech an.
    »Obacht, Eure Exzellenz«, sagte eine Stimme.
    Göring zuckte zusammen und drückte ab. Der Schuss hallte über die Lichtung, das Reh sprang in den Wald, in Sicherheit. Göring fluchte.
    »Meine Schuld«, sagte sein Adjutant, Hauptmann Witzig. »Sie waren kurz eingenickt. Ich hätte Sie vorsichtiger wecken müssen.«
    Das war also mal wieder nur einer seiner verrückten Träume gewesen. In letzter Zeit phantasierte er sich einen Quatsch zusammen, Herrschaftszeiten! Ein sprechendes Reh. Hoffentlich hatte er im Schlaf nicht geredet. Auf dem Hochsitz war es so eng, dass Witzig jedes Wort mitbekommen hätte.
    »Habe ich irgendwas gesagt?«, fragte er.
    »Nein, Eure Exzellenz, nur leise gemurmelt.«
    Er würde ihm sowieso nicht die Wahrheit sagen. Niemand wagte das. Nicht einmal Emmy. Denn er, Hermann Göring, Reichsfeldmarschall, Luftfahrtminister, Reichsforst- und -jägermeister, Gründer der Gestapo und vieles, vieles mehr, war neben dem Führer der mächtigste Mann im Deutschen Reich. Der weitere Verlauf des Krieges hatte seinen Stern heller leuchten lassen als je zuvor. Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich, so lautete die Erfolgsbilanz der vergangenen zwei Monate. Von Gegenwehr mochte Göring kaum reden, so leicht erkauft erschienen ihm die Siege. Gut, noch hatten die Franzosen nicht kapituliert. Aber das war nur eine Frage der Zeit. Auch die Norweger sträubten sich eine Weile, unterstützt von den Briten. Narvik im Norden war sogar uneinnehmbar. Aber das restliche Land fiel den deutschen Truppen wie eine reife Frucht in die Hände. Aus Görings Sicht vor allem wegen der überragenden Arbeit der Luftwaffe. Diese Satansbraten. Sie waren aus demselben Holz geschnitzt wie er, wagemutige Hasardeure, denen der Kampf zur zweiten Natur geworden war. Dank der taktischen Überlegenheit seiner Flieger gelang es den Briten nicht, die norwegische Niederlage abzuwehren. Und das Deutsche Reich rückte England näher auf den Pelz.
    Was Görings Selbstbewusstsein aber beinahe zum Platzen brachte, war die Operation »Gelb«, der Angriff im Westen.10. Mai. Ein Datum, das er nicht vergessen würde. An diesem denkwürdigen Tag hatte er der Welt und Hitler bewiesen, dass die Überlegenheit der deutschen Luftwaffe erdrückend war. Wer wollte sich ihr in den Weg stellen? Mehr als viertausend Flieger hatte Göring an die Westfront beordert, und sie radierten die feindlichen Linien aus, als sei dies alles ein erbauliches Spiel und nicht blutiger Ernst. Bereits am ersten Tag verloren die Franzosen tausend

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