Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
befahl Hansen. Krauss erkannte die Stimme sofort. Wie hatte das Schwein sie so schnell gefunden? Hansen hielt Oda eine Pistole an den Hinterkopf und offenbarte so wenig wie möglich Angriffsfläche. Ein Schuss wäre zu gefährlich gewesen.
»Du weißt, dass ich es ernst meine«, drohte Hansen. »Sie ist tot, wenn du die Waffe nicht wegwirfst.«
»Ich liebe dich«, sagte Oda. »Wenn du mich auch liebst, schieß ihm den Schädel weg.«
Krauss versuchte sich zu konzentrieren, aber in ihm rangen Wut und Panik miteinander. Nicht schon wieder, dachte er. Ich kann nicht zwei Menschen auf ähnliche Weise verlieren. Das ist unmöglich. Damals bei Hanna hatte er aus seinem Versteck heraus machtlos mit ansehen müssen, wie Edgar ihr in den Kopf schoss. Alles wegen des Jungen. Aber es war Hannas Wille gewesen, sie hatte sich für seine Zukunft geopfert. Nun befand er sich erneut an einem Scheidepunkt. Aber diesmal musste die Sache anders ausgehen. Alles andere würde er sich niemals verzeihen. Er musste Oda retten, unter allen Umständen.Was mit ihm selbst passierte, war egal. Hansen würde ihn niemals am Leben lassen. Oda vielleicht schon. Sie war eine Verräterin, aber auch Görings Nichte. Hansen konnte es sich nicht erlauben, sie zu töten. Nur durch den Reichsfeldmarschall war er überhaupt in der SS. Genauso schnell würde Göring ihn wieder fallenlassen. Hansen musste ihm Oda lebendig zurückbringen, wenn er weiter Karriere machen wollte. Er würde sie nicht töten.
»Was ist los?«, fragte Hansen. »Entscheide dich, sonst entscheide ich für uns alle. Und das wird dir nicht gefallen.«
»Du lässt sie am Leben«, verlangte Krauss.
»Nein!«, brüllte Oda. »Fall nicht auf ihn rein. Er tötet uns beide. Der Kerl lügt.«
»Ich will nur dich«, sagte Hansen. »Was mit Oda geschieht, liegt allein in Görings Ermessen.«
Krauss zögerte.
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Tu es nicht«, entgegnete sie. »Bitte.«
»Ich kann nicht anders.«
Das schwächer werdende Mondlicht ließ Odas Züge schemenhaft verzerrt erscheinen. Sie war verzweifelt, desillusioniert, am Ende. Krauss konnte den Anblick kaum ertragen. Er warf den Karabiner in den Schnee. Oda senkte den Kopf, schluchzte.
»Die Pistole auch«, sagte Hansen. »Ich weiß, dass du eine trägst.«
Krauss griff unter seine Jacke, zog die Walther aus dem Holster und schmiss sie ebenfalls fort. Er ergab sich in sein Schicksal. Wenn es eine höhere Macht gab, legte er ihr sein Leben zu Füßen. Sein Leben für Odas Leben. Das war der Handel.
»Sehr gut«, sagte Hansen und trat hinter Odas Rücken hervor. Er hielt seine Pistole auf ihren Kopf gerichtet. Krausswar froh, dass es zu dunkel war, um den Triumph in Hansens Miene zu sehen. Es reichte, ihn aus den Worten dieses gemeinen Verbrechers herauszuhören. Hansen kostete seinen Sieg aus.
»Ein schöner Moment. Nur schade, dass ich so lange darauf warten musste. Und der Preis, den ich dafür zahle, ist eindeutig zu hoch. Nun ja, für die Dinge, die einem wirklich etwas wert sind, ist man bekanntlich bereit, sein letztes Hemd zu opfern.«
Er grunzte verächtlich. Krauss verfluchte die Dunkelheit, die ihm in seinen letzten Minuten Odas Antlitz raubte.
»Ihr versteht sowieso nicht, wovon ich rede, nehme ich an. Aber eines will ich euch noch mit auf den Weg geben.« Er richtete die Worte an Krauss. »Dein größter Fehler war es, mich herauszufordern. In der Nacht im Haus hättest du mich töten müssen. Aber du hast versagt. Ich konnte das nicht vergessen. Vielleicht hätte ich euch ansonsten in Ruhe gelassen. So war das unmöglich.«
Hansen stockte.
»Du hast aber noch weitere Fehler begangen, Krauss. Gerade nicht auf mich zu schießen, zum Beispiel. Mir zu vertrauen. Ich hoffe, du wirst stets daran denken: Das, was hier passiert, ist allein deine Schuld.«
Hansen schoss Oda von hinten in den Kopf. Sie fiel vornüber in den Schnee. Krauss’ Herz setzte aus. Er rang nach Atem, drohte von einem Strudel aus Schmerz in einen bodenlosen Abgrund gerissen zu werden. Der Schnee vor Oda verfärbte sich dunkel, dünne Ströme verästelten sich zu einem filigranen Muster, zu einem Delta aus Blut. Krauss sank halb ohnmächtig auf die Knie. Er würgte, schluchzte, aber es flossen keine Tränen. Leer. In ihm war nichts mehr. Weder Worte noch Gedanken. Er war auf einen Schlag innerlich verbrannt. Ausgehöhlt. Kalte Asche.
»Schau sie dir gut an, Krauss«, sagte Hansen. »Das ist dein Werk. Ich hoffe, dass du dieses Bild immer
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