Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
allem – der Waffe in seinen Händen, dem Wind auf seiner Haut, den Geräuschen des Dschungels, dem Kreischen, Flirren und Zirpen, den Bäumen und Sträuchern, jedem Blatt, jedem Stängel, jeder Wurzel. Hansen war das Zentrum, die Ruhe, die Kraft. Er war der Jäger. Der Schuss war nur die letzte Note einer perfekten Komposition, kaum wahrnehmbar. Hansen sah, wie der Affe auf seinem Ast herumgerissen wurde, taumelte, sich reflexartig mit Schwanz und Armen festklammerte, ihm die Gliedmaßen aber den Dienst versagten und er kraftlos zu Boden stürzte. Das Gesetz des Dschungels. Fressen und gefressen werden. Töten und getötet werden. Ich töte, dachte Hansen. Ich fresse.
Er schickte einen der Caboclos los, den Affen einzusammeln. Sie stellten seine Befehle nie in Frage. Hansen lieferte zuverlässig frisches Fleisch. Manchmal hatte er den Eindruck, dass die Männer am Lagerfeuer über ihn tuschelten. Aber das konnte Einbildung sein. Es schwirrte einem viel merkwürdiges Zeug im Kopf herum, wenn man tagaus, tagein nur den Dschungel um sich hatte. Acht Tage waren mittlerweile seit ihrer Begegnung mit Winnetou vergangen. Winnetou. Was fürein idiotischer Name. Schulz-Kampfhenkel kam sich vor wie Old Shatterhand, der weiße Held und die edle Rothaut. Dabei hatte sein alter »Freund« weder begriffen, wo er sich befand, noch, mit wem er es zu tun hatte. Sein Winnetou war ein gefährliches Subjekt, ein zweibeiniges Raubtier, niederträchtig und wie alle anderen Kreaturen in dieser Hölle nur auf das Überleben ausgerichtet. Hansen begegnete ihm mit Vorsicht, nannte ihn nur bei seinem richtigen Namen, Pitoma. Der Waldindianer quittierte das mit tückischen Blicken. Sie trauten sich gegenseitig nicht über den Weg. Aber Pitoma respektierte ihn wegen seiner Schießkünste genauso wie die Caboclos, und Hansen wusste, dass der Indio ein noch perfekterer Jäger war als er selbst. Pitoma hantierte unglaublich geschickt mit Pfeil und Bogen, erlegte Fische, kleine Kaimane und Vögel, selbst aus großer Distanz. Hansen hatte ihn bei der Jagd studiert und sich einiges abgeschaut. Die Geduld, die Ruhe, das Verschmelzen mit der Umgebung. Wenn Pitoma sich an ein Tier heranpirschte, stand er da wie aus Stein gemeißelt, den Bogen gespannt, der Atem flach. Es hatte Momente gegeben, da konnte Hansen sich nicht losreißen vom Anblick dieses Körpers, den genau definierten Muskeln, der animalischen Aura. Dann spürte er wieder dieses Verlangen in sich, wie sich alles in ihm verzehrte nach zärtlicher Berührung und gleich darauf ausgelöscht wurde durch eine glutheiße Welle der Scham. Müller. Warum wurde er überall, selbst im gottverlassensten Winkel des Planeten, von dem eingeholt, vor dem er fliehen wollte?
Zwei kräftezehrende Wochen waren sie jetzt unterwegs, gegen den Strom, das Tageslicht nutzend vom ersten bis zum letzten Sonnenstrahl. Pituma führte sie zurück zu seinem Dorf. Zumindest behauptete er das. Einen Tag hatten sie an der Biegung des Rio Jary, an der sie auf den Indio gestoßen waren, auf Kahle und Krause warten müssen. Am nächstenMorgen hielt Schulz-Kampfhenkel mit hochrotem Kopf und gestelztem Tonfall eine Rede, bei der Hansen, der nicht richtig zuhörte, nur die Worte »historisch« und »Geschichtsbücher« verstand, und der mühselige Teil ihrer Reise begann. Mein Gott, wie er diesen Fluss hasste. Der Jary war lebendig, wild, starrsinnig, ein Monstrum, das sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehrte, vereinnahmt zu werden, das gierig nach ihrem Lebenssaft verlangte. Seine Zähne waren die Stromschnellen, seine Klauen die scharfkantigen Felsen, die darunter lauerten. Wenn die Männer in die Fluten sprangen, um ein Boot durch das schaumweiße Wasser zu ziehen, kam kaum einer ohne blutende Schnitte an den Füßen wieder heraus. Hansen hatte den Eindruck, dass der Fluss nur aus einer Aneinanderreihung von Stromschnellen bestand, so schnell dröhnten sie mit ihren Außenbordern über die ruhigeren Passagen hinweg. Aber es war wohl nur der unvergleichlich höhere Aufwand, den sie betreiben mussten, um die Katarakte zu überwinden, die Angst um die Ausrüstung, den Proviant und nicht zuletzt das eigene Leben.
Tag für Tag ging das so, Stunde um Stunde. Manchmal steuerten sie, unterstützt von ihren Motoren, kühn durch die Stromschnellen hindurch. Meistens aber mussten sie aus den Booten heraus und sie am Rande über die Steine ziehen, vorsichtig, um kein Loch in den Rumpf zu schlagen. Wenn die tosenden Wirbel
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