Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
aufmerksam zu machen auf die Geheimnisse des Dschungels. Hansen lernte schnell, und mit jedem Tag, an dem er mit dem Jungen unterwegs war, fühlte er sich stärker zu ihm hingezogen. Saracomano mochte fünfzehn, sechzehn Jahre alt sein, er hatte einen muskulösen, aber noch nicht stämmigen Körper und im Gegensatz zum grobschlächtigen Pituma ein feingeschnittenes, anmutiges Gesicht. Hansen verfluchte das Schicksal, das ihn im hinterletzten Winkel der Welt mit einem solchen Jüngling konfrontierte. Er war verwirrt, verunsichert, manchmal geradezu verstört. Niemand im Lager oder im Dorf durfte von seinen Präferenzen erfahren. Also musste er sich noch mehr verstellen als bisher, auch Saracomano gegenüber. Hansen wusste genau, dass es das Ende ihrer Expedition bedeuten würde, wenn er einen Annäherungsversuch unternahm. Er wagte es sich gar nicht auszumalen, wie Aocapoto reagieren würde. Der Häuptling war ein kräftiger Mann, mit Adern, die sich beinahe fingerdick über seine muskelharten Arme schlängelten. Aocapoto verstand bestimmt keinen Spaß, wenn es umseinen Sohn ging. Hansen ermahnte sich zu mehr Wachsamkeit.
Unter dem hohen Palmstrohdach des Rundhauses verflüchtigte sich der Qualm der Bambuszigaretten. Die Männer hielten an diesem Morgen eine Besprechung ab, bei der gewohnheitsmäßig geraucht wurde. Schon jetzt, gegen elf Uhr, lag die Außentemperatur bei über dreißig Grad, und Hansen freute sich, dass das Versammlungshaus der Aparai an den Seiten offen war, um den Wind hindurchzulassen. Schulz-Kampfhenkel wollte seinen neuen Dschungelfreunden an diesem Morgen erklären, was es mit den schwarzen Kästen, den Kameras, auf sich hatte, mit denen die weißen Besucher ständig durchs Dorf liefen. Aocapoto hatte am Tag zuvor sein Misstrauen gegenüber den »machinas«, wie er sie nannte, bekundet. Es war das erste Mal, dass der Häuptling etwas an den so überraschend aufgetauchten Gästen kritisierte. Bisher verlief ihr Rendezvous mit den Indianern reibungslos. Nach der ersten verlegenen Begegnung vor zehn Tagen hatte Aocapoto die kleine Delegation über den Weg in ein leeres Dorf geführt. Erst auf seine Rufe hin waren zwei alte Frauen aus ihrem Versteck gekommen. Schulz-Kampfhenkels Geschenke und Pitumas Bericht überzeugten die überrumpelten Indios jedoch sehr schnell von den guten Absichten ihrer weißen Besucher. Sie waren willkommen, durften am nächsten Tag mit dem gesamten Tross sogar ein verlassenes Dorf der Aparai beziehen, das ganz in der Nähe auf einer Flussinsel in einem Seitenarm des Jary lag. Besser hätte die Kontaktaufnahme mit diesem ursprünglichen Stamm aus Schulz-Kampfhenkels Sicht nicht verlaufen können.
Bereits am dritten Tag trauten sich alle Indianer, auch die jüngeren Frauen, wieder ans Licht. Neugier auf die ungebetenen Gäste siegte über eventuelle Bedenken. Im Grunde handelte es sich bei diesem Dorf der Aparai um eine Großfamilie, bestehend aus vierzehn Personen. Der Hauptstamm siedelteweiter westlich, am Rio Paru. Die Indios am Jary lebten völlig zurückgezogen, unberührt von zivilisatorischen Einflüssen. Für Schulz-Kampfhenkel die ideale Voraussetzung, um ihre Kultur zu studieren. Deshalb war er sofort elektrisiert, als er von Aocapotos Bedenken gegenüber den Kameras erfuhr. Nichts durfte ihr Vorhaben gefährden.
Für das Gespräch mit Aocapoto hatte Schulz-Kampfhenkel sich ein paar zerfledderte Illustrierte eingesteckt, die während der wochenlangen Reise den Jary hinauf mehrfach durch alle Hände gegangen waren. Sie lagen jetzt aufgeschlagen vor dem Häuptling und dessen Sohn. Aocapoto betrachtete aufmerksam die Fotos, blätterte um, reichte die Zeitung an Saracomano weiter. Diese Bilder seien mit Hilfe der schwarzen Apparate, der »machinas«, entstanden, ließ Schulz-Kampfhenkel Pituma und Raimundo übersetzen. So würden die Menschen in ihrer Heimat vom Leben der Aparai erfahren. Aocapoto nickte. Er begriff, und er erlaubte es. Die Angelegenheit war erledigt, die Sache mit den »machinas« vom Tisch.
Das Stammesoberhaupt wollte aber noch mehr wissen. Aocapoto fragte nach dem großen Häuptling der weißen Männer. Er wusste, dass es in Brasilien einen »Papa Grande« gab, einen großen Vater, und vermutete Ähnliches auch in der Heimat seiner Gäste. Schulz-Kampfhenkel grübelte. Hansen war gespannt darauf, was der Expeditionsleiter über Hitler zu berichten haben würde.
»Ja, bei uns gibt es auch einen großen Vater«, sagte Schulz-Kampfhenkel. »Aber
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