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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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Vielleicht suchen wir deshalb immer nach dem Altbekannten, mutmaßte Krauss, weil nur das Vertraute unser Wohlbefinden garantiert. Er wunderte sich über diese für ihn ungewohnten Gefühle. Die Weinbergs hatten offensichtlich seine verkarstete Seele abgeschliffen und unbekannte, zugänglichere Seiten freigelegt. Krauss wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte.
    »Lassen Sie uns ein Glas Wein trinken«, sagte der Arzt undentkorkte, ohne die Antwort seines Gastes abzuwarten, eine Flasche Rotwein.
    »Ein Château Latour. Ein edler Tropfen. Früher habe ich es genossen, mich bei einem Glas gutem Wein zu entspannen, heute versuche ich mich bei jedem Schluck daran zu erinnern.«
    Weinberg füllte drei Kelche bis zur Hälfte, setzte sich und erhob sein Glas. »Stoßen wir an.«
    Seine Frau und Krauss nahmen ihre Gläser, streckten sie ihm entgegen. »Auf eine bessere Zukunft. Oder überhaupt auf eine Zukunft.«
    Weinberg trank. Krauss nippte nur an der tiefrot schillernden Flüssigkeit. Er hatte lange keinen Alkohol mehr getrunken, fürchtete den Schwindel. Und Fragen, für deren Beantwortung er einen klaren Kopf brauchte. Weinbergs Frau taxierte ihn bereits mit diesem gewissen Blick.
    »Richard«, sagte sie und ließ seinen Namen einen Moment lang im Raum stehen, als höre sie seinen Klang zum ersten Mal. »Jetzt sind Sie schon so lange bei uns, und wir wissen so gut wie nichts über Sie. Was sind Sie für ein Mensch? Wo kommen Sie her, was haben Sie gemacht, wer sind Ihre Eltern? Ich würde mich freuen, wenn Sie uns ein wenig über sich erzählen würden.«
    Genau diese Fragen hatte er gemeint. Was sollte er darauf sagen? Die Wahrheit? Krauss sah in sein Glas, schwenkte die blutrote Flüssigkeit leicht hin und her. Die Farbe war ihm vertraut, durch sein Leben zog sich eine Blutspur, die bis in diese Küche führte. Sollte er das den Weinbergs erzählen? Dass er das Blut so vieler Menschen vergossen hatte, dass es ihm schwerfiel, sich an jeden Einzelnen von ihnen zu erinnern? Und wo sollte er anfangen?
    Ich war ein ganz normaler Junge aus bürgerlichem Haus, würde er sagen, ein Junge, der seinen älteren Bruder liebte und bewunderte und ihm in allem nacheiferte, so gut es irgendging. Also folgte ich ihm in Hitlers Sturmabteilung, um Deutschland von dem niederträchtigen und blutsaugerischen Gesindel zu befreien, das es in den Abgrund zu ziehen drohte. Ich ging mit ihm auf die Straße und brüllte unsere Parolen so lautstark in andere Ohren, dass man uns nicht überhören konnte. Und wenn die anderen nicht hinhören wollten oder zurückbrüllten, dann prügelten wir ihnen unsere Wahrheiten in die Köpfe, so lange, bis sie es begriffen. Im Prügeln war ich gut, auch wenn es mir anfangs schwerfiel, aber ich wollte Edgar gefallen, wollte, dass mein großer Bruder stolz auf mich war. Und so habe ich mir seine Anerkennung auf der Straße mit einer Sammlung blutiger Schädel verdient.
    Eine tolle Leistung, nicht wahr, würde er den Weinbergs sagen, aber es kommt noch besser, wartet nur ab. Denn mein schlauer Bruder hat nicht nur mein Talent und meinen Ehrgeiz erkannt, sondern auch meine Ergebenheit ihm gegenüber, und er hat diese Fähigkeiten in eine Richtung gelenkt, die von Vorteil für uns beide war. Er hat mich mitgenommen auf seinem Weg nach oben, mich zu seinem Werkzeug gemacht, zu seinem Vollstrecker. Von Hitler persönlich erhielt Edgar den Auftrag, ein geheimes Kommando zu gründen, die »Söhne Odins«, und die Männer auszubilden in der Kunst des Folterns und des Tötens. Ich war von Anfang an mit dabei, ich war Edgars bester Schüler. Er hat einen perfekten Mörder aus mir gemacht, schnell, skrupellos, einfallsreich. Ich war der gelehrigste Geselle, den man sich wünschen kann, und schon bald ein Meister darin, Leben auszulöschen.
    Sollte er den Weinbergs die Einzelheiten ersparen oder sie teilhaben lassen an seinen ruhmreichen Taten? Wie würde Inge reagieren, wenn er ihr von den Menschen berichtete, die er gefoltert und getötet hatte? Vielleicht konnte er sie milder stimmen, wenn er von diesen nervenzerreißenden Schreien sprach, wie sie ihn verfolgten in schlaflosen Nächten und erstHanna sie verstummen ließ. Da war Hitler aber schon an der Macht und die »Söhne Odins« ein inoffizieller Teil der Gestapo geworden. Vielleicht begriffen die Weinbergs mit ihrem heutigen Wissen, was das damals für ihn bedeutete. Er konnte schalten und walten, wie er wollte, er war ein Mörder von Hitlers Gnaden, gehasst

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