Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Wirksamkeit verlieren könnten. Präräwa forderte ihn auf, ein Gebräu selbst zu probieren, um die Folgen am eigenen Leib zu erfahren, aber Hansen war das zunächst nicht geheuer. Er wollte jedoch auch nicht wie ein Feigling dastehen. Es war das Pulver, erklärte die Alte ihm, mit dem er sich von seinem Körper lösen und zu den Geistern reisen könne. Hansen stimmte zögerlich zu. Präräwa bröselte ihm eine Prise von dem ekelhaft stinkenden Zeug vor ein Nasenloch und bedeutete ihm stillzuhalten. Hansen zitterte vor Anspannung. Er hatte eine Riesenangst vor dem, was ihn erwartete. Wahrscheinlich würde sich sein Gehirn gleich in seine Bestandteile zerlegen. Saracomano nahm eine Art kürzeres Blasrohr, setzte es vor das Nasenloch seines weißen Freundes und blies ihm das Pulver in die Nase.
Hansens Kopf explodierte, als hätte jemand eine Feuerwerksrakete in seinem Schädel gezündet. Schlagartig verlor er die Kontrolle über Körper und Sinne. Er schwebte, fiel, flog, die Welt löste sich auf in ein Kaleidoskop aus Farben, chaotisch, sinnlos. Formen schälten sich heraus, Blätter, Bäume, Felsen in nie gesehenen Schattierungen. Der Dschungel als Symphonie aus Licht. Hansen lief, lief, lief, sprang durch Büsche, über Wurzeln, rannte, witterte, ein hungriger Räuber auf der Jagd. Sein Herz klopfte beengt in der Brust, stahl ihm die Luft. Jetzt war er die Beute, verfolgt von rhythmischem Keuchen. Der heiße Atem des Jaguars in seinem Nacken. Meute, Beute. Hansen drehte sich nicht um. Schneller, schneller, er raste jetzt, die Beine schwer wie Blei, Blut tropfte von seinen Schuhen. Er lief durch roten Schnee, in den Fußstapfen der Toten. Seiner Toten. Feuer füllte ihn aus, brannte seineSünden hinweg, reinigte die Seele. Hansen kotzte Saracomano vor die Füße. Was für ein Höllentrip. Der Indianer betrachtete ihn, als könne er durch seine Augen sehen, als könne er verstehen, was Hansen vollkommen rätselhaft blieb. Der Deutsche wälzte sich auf den Rücken und starrte in den Sternenhimmel. Stand dort sein Schicksal geschrieben? Wussten die Sterne, was hier unten geschah und was einmal geschehen würde? Kannten sie jede Wendung jedes noch so armseligen Lebens? Hansen hatte sich darangemacht, seinem eine neue Richtung zu geben, es selbst zu steuern, statt sich lenken zu lassen. Denn er hatte Großes vor. Er war dabei, ein Kind des Dschungels zu werden. Ein Meister in der Kunst des Überlebens. Und in der Kunst des Tötens. Das wollte er werden. Ein Künstler, der mit Leben und Tod ein Werk gestalten konnte, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte.
10.
B ERLIN
28. Oktober 1939
Wohnung der Weinbergs
Als Kind hatte sich Krauss vor dem gefürchtet, was sich im monströsen Kleiderschrank seiner Eltern verbergen mochte. Nun wusste er mehr um die dunklen Geheimnisse dieser Möbelstücke, denn er war selbst gerade einem entstiegen. Die Weinbergs hatten ihren ebenfalls übergroßen Schrank vor die Tür seiner Kammer geschoben und die Rückwand entfernt. So kam kein Patient in die Verlegenheit, auf der Suche nach der Toilette unerwartete Einblicke ins Privatleben seines Arztes zu erhalten. Krauss musste lächeln über die unbeholfenen Scharaden seiner Gastgeber, als er Weinberg durch das nur ein paar Alibi-Kleidungsstücke beherbergende Möbel folgte, dabei auf seine Füße achtete, um ja nicht zu stolpern, und durch die Schranktür in den Wohnungsflur trat; zugleich rührte ihn diese Camouflage, denn ein Kommando entschlossener Männer hätte sich davon sicher nicht täuschen lassen. Erst als er im Flur stand und etwas ungläubig den Schrank betrachtete, wurde ihm klar, wie viel Glück er gehabt hatte. Entweder es suchte tatsächlich niemand nach ihm, oder es war nicht nötig, weil sein Aufenthaltsort ohnehin in den entscheidenden Kreisen bekannt war. Weinberg bemerkte den kritischen Blick seines Gastes.
»Etwas Besseres ist uns nicht eingefallen«, sagte er entschuldigend.
»Es hat bisher seine Dienste erfüllt«, entgegnete Krauss, um ihn nicht bloßzustellen.
»Juden schnüffeln eben nicht in anderer Leute Kleiderschränken herum.«
Weinbergs Verbitterung saß so tief, dass nicht einmal ein so glänzender Chirurg wie er sie hätte herausoperieren können, dachte Krauss. Er wandte sich von dem Möbelstück ab, musterte den Flur.
»Führen Sie mich herum? Ich würde gerne den Ort meiner Wiedergeburt kennenlernen.«
»Aber selbstverständlich. Folgen Sie mir.«
Krauss humpelte hinter Weinberg her. Der Arzt
Weitere Kostenlose Bücher