Ein Freund aus alten Tagen
ein, oder blieb der Mann ungewöhnlich lange stehen? Schließlich hörte Meijtens ihn durch die Haustür nach draußen gehen.
Es war kaum mehr als eine halbe Minute vergangen, als sich die Tür wieder öffnete. Er hörte zwei Männerstimmen, die im Flüsterton diskutierten. Danach eine andere Stimme, die ihnen von der Straße aus etwas zurief.
»Er wollte mich doch interviewen, und dann lässt er mich hier einfach stehen und warten! Das ist doch …« Die Stimme verschwand, als sich langsam die Tür schloss.
Die unbekannten Männer standen sekundenlang schweigend im Erdgeschoss. Dann hörte Meijtens langsame Schritte auf der Treppe, die in den Keller führte. Er drückte die Klinke der Kellertür hinunter, obwohl er wusste, dass sie abgeschlossen war. Die Beleuchtung war noch ausgeschaltet, sodass Meijtens den Mann im Trenchcoat nur vage ausmachen konnte, der zuvor aus dem Aufzug gekommen war und das Haus verlassen hatte. Hielt er eine Waffe in der Hand? Dann sah er den zweiten Mann vom Treppenabsatz herunterkommen. Es war ein großer Mann mit militärischer Haltung.
»Ach, das ist ja nett«, sagte Inspektor Tilas, als er das Licht eingeschaltet hatte. »Na, wenn das nicht Redakteur Meijtens ist, der hier herumsteht und nur darauf wartet, uns alles erzählen zu dürfen.«
Natalie stellte eine Teekanne, Zwieback, Feigenmarmelade und die Souvenirtasse aus London auf ein Tablett, das sie anschließend ins Wohnzimmer trug und auf den Tisch neben dem Sessel stellte. Sie öffnete das französische Fenster und atmete tief durch. Der wilde Wein auf der gegenüberliegenden Häuserfassade hatte sich inzwischen rot verfärbt, und es nieselte.
Es war fast sieben, und sie hatte noch nichts von Meijtens gehört. Das war zwar eigenartig, aber er war ja auch ein bisschen eigen. Sie dachte wieder daran zurück, wie sie ihn auf dem Fußboden gefunden hatte, als sie aufwachte. Hatte er nicht gehört, was sie gesagt hatte? Vielleicht hatte er geglaubt, sie habe etwas anderes gemeint. Tja, mein Lieber, das kannst du dir ja ruhig einbilden. Sie goss sich eine Tasse Tee ein und lächelte.
Während sie den Zwieback aß, hielt sie sich einen Teller unter das Kinn. Hinterher tupfte sie sich vorsichtig ein wenig Marmelade aus dem Mundwinkel. Dann wischte sie über dem Papierkorb die Krümel von ihren Händen und griff nach der Kassette. »Interview mit Johan Rooth«, hatte Meijtens sie mit seiner etwas klobigen Handschrift beschriftet. Natalie hatte sich die Aufnahme des Interviews anhören wollen, seit Meijtens es für sie zusammengefasst hatte, war aber bis jetzt nicht dazu gekommen. Sie wollte selbst alle Details in der Geschichte des alten Revolutionärs hören und war gespannt, ob sie aus dem, was er über Carl Wijkman und Sonia Terselius gesagt hatte, neue Nuancen heraushören können würde.
Aber es gab noch einen weiteren Grund für ihre Neugier. Es hatte sie beeindruckt, dass Meijtens Rooth in seinem Interview so viel entlockt hatte, und sie wollte hören, wie er dies angestellt hatte.
Natalie schaltete das Band ein, ließ sich in den Sessel zurücksinken und trank beim Zuhören langsam ihren Tee. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf das Interview gerichtet, und als die Aufnahme endete, blieb sie sitzen, starrte vor sich hin und bewegte sich erst wieder, als das Band mit einem lauten Klicken stoppte. Das war wirklich merkwürdig. Unverständlich. Sie spulte zurück und zog ihr Notizbuch heraus. Dann schaltete sie den Kassettenrekorder wieder ein, lauschte intensiv und machte sich Notizen.
Sie stellte fest, dass sie recht gehabt hatte, begriff jedoch nicht ganz, was das bedeutete. Jedenfalls stand fest, dass es sich nicht um eine Demonstration meisterhafter Interviewtechnik handelte, wie sie geglaubt hatte. Nicht etwa, weil Meijtens zu so etwas nicht fähig wäre, es war nur überhaupt nicht nötig gewesen. Rooth hatte ihm freiwillig und unaufgefordert alles über Carl Wijkman, Sonia Terselius und Erik Lindman erzählt. Ja, mehr als das, er hatte fast darauf bestanden, erzählen zu dürfen, noch bevor Meijtens dazu gekommen war, ihm auch nur eine einzige Frage zu stellen.
Das rief ihr eine Geschichte in Erinnerung, die sie eigentlich längst verdrängt hatte. Sie war damals fünfzehn gewesen und eines Abends alleine in dem großen Haus in Saltsjöbaden gewesen. Ein in jeder Hinsicht unpassender junger Mann war trotz der strengen und auf ihn gemünzten Ermahnungen ihrer Eltern vorbeigekommen. Sie hatten viel zu viel getrunken
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