Ein Freund aus alten Tagen
will nur wissen, ob ich alles richtig verstanden habe.«
Liston griff nach der braungrauen Mappe und blätterte langsam in Protokollen und Aufzeichnungen.
»Doch, ich denke, das hast du.« Liston überflog ein Dokument. »Der Anzahl der Füllungen nach zu urteilen, scheint er längere Zeit im Westen gelebt zu haben, aber das ist natürlich reine Spekulation.«
Er blickte zu Meijtens auf. »Jetzt musst du mich bitte entschuldigen, ich habe zu arbeiten.«
Während er Meijtens aus dem Gebäude begleitete, warf Liston nervöse Blicke durch den Korridor. Der Himmel hatte sich verfinstert, aber es regnete nicht mehr. Sie verabschiedeten sich mit einem kurzen Kopfnicken, zwei Männer, die sich ihr Leben lang gekannt hatten. Meijtens schlenderte zu seinem Fahrrad und füllte seine Lunge mit der frischen Herbstluft.
Brandwunden von Zigaretten … Platzwunden nach stumpfer Gewalt gegen Hinterkopf und Jochbein.
Es schauderte ihn, und er fuhr etwas schneller.
8 Als es an der Tür klingelte, zuckte sie zusammen, obwohl sie stundenlang darauf gewartet hatte. Mit vorsichtigen und rheumatischen Bewegungen ging sie in den Flur. Leise knarrte das alte Eichenparkett bei jedem Schritt, und sie stützte sich mit der Hand leicht auf der Rokokokommode ab, um sich bei einem unsicheren Schritt auffangen zu können. An der Tür beobachtete sie ihn durch den Spion. Sie wusste, wer er war, denn er hatte sie vor ein paar Stunden angerufen, und sie bekam ansonsten praktisch nie Besuch.
Ihr Besucher sah ungefähr so aus, wie sie es erwartet hatte. Die kühle Stimme, mit der sie telefoniert hatte, passte gut zu dem Mann, der im Hausflur an die altmodische Aufzugtür gelehnt stand. Er trug einen Armeemantel. Sein Gesicht war zerfurcht, zwei tiefe Falten führten von der Nase abwärts an den Mundwinkeln vorbei. Die Haare waren korrekt frisiert. Er stand so, dass die schwache Lampe im Treppenhaus sein Gesicht beleuchtete. Vielleicht wusste er aus Erfahrung, dass ältere Damen ihre Besucher eingehend durch den Spion studieren, und wollte es ihr leichter machen.
Als sie die Tür öffnete, stellte er sich vor und zeigte ihr seinen Dienstausweis. Sie wechselten ein paar einleitende Floskeln, bevor sie ihn ins Wohnzimmer bat. Dort hatte sie bereits Tassen und eine Teekanne auf den Tisch gestellt. Er setzte sich kerzengerade und ohne die Rückenlehne zu benutzen, in einen Sessel. Sie ertappte sich dabei, alles zu tun, um ihren Akzent zu überspielen, und fragte sich, warum. Sie nahm an, dass es ihr Instinkt war, der ihr einflüsterte, bloß nicht aufzufallen. Ein langes und turbulentes Leben hatte sie gelehrt, welche Gefahren dies mit sich bringen konnte.
Schließlich wand er sich verlegen und begann, über sein Anliegen zu sprechen. Er referierte kurz das tragische Ereignis, das ihn zu seinem Besuch veranlasst hatte. Ihr fiel auf, dass er in abgehackten, stakkatoartigen Sätzen sprach, und sie fragte sich, ob er so vermeiden wollte, zu viel zu sagen. Schließlich kam er zu seinem Anliegen. Dem »besonderen Umstand«, wie er es ausdrückte.
»Wie ich bereits am Telefon erwähnte, haben wir auf einem Zettel in der Tasche des Verstorbenen Ihre Initialen und Ihre Telefonnummer gefunden. Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich nun, nachdem Sie etwas Zeit zum Nachdenken hatten, an seinen Namen erinnern können. Oder ob Sie eine andere plausible Erklärung dafür haben, warum er diese Notiz bei sich trug.«
Sie sah ihn mit einer Miene an, die, wie sie hoffte, stolz und etwas hochmütig war.
»Ich glaube, ich habe Ihnen schon am Telefon gesagt, Inspekto….«
Sie suchte verzweifelt nach seinem Namen, aber ihr Kopf war leer.
»Tilas, Inspektor Tilas.«
»Ach ja, richtig. Wie ich schon sagte, Herr Tilas, mein Gedächtnis funktioniert trotz dem, was Sie sicher als mein hohes Alter betrachten, ganz ausgezeichnet. Ich bin noch nie jemandem mit diesem Namen begegnet. Meines Wissens habe ich überhaupt noch nie einen Menschen aus Albanien kennengelernt.«
»Und Sie sagen, dass Sie auch niemand angerufen hat?«
»Ich werde durchaus gelegentlich angerufen«, antwortete sie abgeklärt.
»Ich meine, dass niemand Sie angerufen hat, bei dem es sich um diesen albanischen Mann handeln könnte, der einen Zettel mit Ihrer Telefonnummer bei sich trug.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es hat niemand angerufen.«
Er nickte nachdenklich. Dann zog er ein Foto aus der Innentasche seines Mantels. »Kennen Sie diese Person?«, fragte er.
Sie musterte das Bild. »Ist
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