Ein Freund aus alten Tagen
dass ich diese Nacht doch alleine schlafen kann. Mit den neuen Schlössern fühle ich mich schon viel besser. Und du musst morgen doch so früh raus …«
»Kein Problem, ich habe alles dabei, was ich brauche.«
»Aber ich denke, dass das keine so gute Idee ist, ich meine, wenn wir probehalber getrennt leben wollen und so. Ich muss mich einfach daran gewöhnen, dass ich dich nicht jedes Mal anrufen kann, sobald ich Angst im Dunkeln habe.«
Ihr schiefes Lächeln suchte sein Verständnis und seine Zustimmung.
Meijtens zuckte mit den Schultern.
»Okay, ich schaue mich hier nur noch ein bisschen um, bis der Bolzen fertig ist.« Er versuchte, das Foto im Regal möglichst nicht mehr anzusehen, und öffnete den Schrank, in dem sie Whisky und Cognac verwahrten, die sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatten. Die Flaschen standen alle noch da. Er merkte, dass Hanna ihn von der anderen Hälfte des Zimmers aus beobachtete. Offenbar wollte sie etwas sagen.
»Du, dieser Karton«, meinte sie, verstummte dann jedoch. Er wartete.
»Dieser Karton mit deinen Papieren, den du nicht mitgenommen hast und den du mit auf die Arbeit nehmen wolltest. Meinst du, du könntest ihn bald mal abholen?«
Sie musste seinen Blick gesehen haben und ergänzte schnell: »Ich meine natürlich nicht jetzt, sondern wenn es dir gerade passt.« Anschließend setzte sie sich auf die Couch und seufzte. »Er ist einfach so eine traurige Erinnerung.«
Erinnerung woran?, dachte Meijtens. Daran, dass wir uns getrennt haben? Eine Erinnerung an mich?
Laut sagte er: »Sicher, ich komme am Wochenende vorbei.«
Er ging zu dem Karton und öffnete ihn. In Wahrheit hatte er nie die Absicht gehabt, ihn in die Redaktion zu bringen. Er enthielt Sachen, an denen er zu Hause gearbeitet hatte, vor allem Material zu der Baudezernent-Story. Seine alten schwarzen Notizbücher lagen in einem säuberlichen Stapel aufgeschichtet. Jedes von ihnen mit den Datumsangaben beschriftet, als er sie benutzt hatte. Hanna sagte immer, wenn sein Leben so geordnet wäre wie seine Notizen, würde er es noch sehr weit bringen. Er hatte den Karton so gepackt, dass er ihn leicht durchsehen und einen Teil des Inhalts wegwerfen können würde. Die ältesten Notizbücher aus Berlin und von seiner Anfangszeit bei 7Plus lagen ganz oben auf dem Stapel. Er griff nach dem ersten. 3. Juni 199…. September 1990, stand auf einem Etikett, das auf dem Umschlag klebte. Er hob das Nächste vom Stapel. 15. Apri…. Juni 1990 .
Er drehte und wendete den ordentlich geschichteten Stapel von Notizbüchern, und sein Herz setzte kurz aus. Sie lagen in umgekehrter Reihenfolge. Anschließend blickte er auf die Reihe von Ordnern. Er hatte sie mit dem Rücken nach oben in den Karton geräumt, um das Etikett sehen zu können. Nun standen sie aufrecht, mit dem Rücken zur Seite. Wahrscheinlich, weil es mühsam war, sie auf andere Art ordentlich hinzustellen. Das wusste er aus eigener Erfahrung. Vor allem wenn man es eilig hatte.
Er lehnte sich zurück und musterte nachdenklich den Karton. Natürlich konnte er die Neugier eines Einbrechers erregen. Aber warum hatte er den Inhalt dann nicht einfach auf den Fußboden gekippt? Warum hatte er behutsam jedes einzelne Notizbuch herausgenommen und sie anschließend säuberlich geordnet zurückgelegt? So geordnet, dass nur ein Besitzer mit einem ganz eigenen System merken würde, dass jemand die Symmetrie gestört hatte. Außerdem hatte er den Karton danach wieder verschlossen. Derselbe Einbrecher, dem es nicht gelungen war, Hannas Schmuck zu finden oder den Fernseher mitzunehmen. Der den Schnaps nicht angerührt hatte und diskret ohne zu viel sperriges Diebesgut verschwunden war.
In dem Karton befand sich nichts, was für irgendjemanden von Interesse sein konnte. Das wenige, was eventuell aufschlussreich sein mochte, betraf Sjöhage und war bereits veröffentlicht worden.
Im Flur lauschte Hanna geduldig den Ausführungen des Bolzens über die Wartung von Fahrradgangschaltungen. Meijtens öffnete seine Satteltasche, in die er hoffnungsvoll Kleider und Zahnbürste geworfen hatte. In ihr lagen auch das Notizbuch und der Kassettenrekorder, die er morgen nach Sandviken mitnehmen würde. Er blätterte in dem schwarzen Heft mit dem halb beschrifteten Etikett 10. September 1990 – .
Meijtens hörte nicht einmal das Geräusch des Bohrers und genauso wenig den Monolog des Bolzens, seine Gedanken waren ganz mit Dingen beschäftigt, die er nicht verstand. Schließlich
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