Ein Freund aus alten Tagen
stöhnte.
»Was sagt die Polizei zu Erik Lindmans tödlichem Sturz? Könnte es etwas anderes als ein Unfall gewesen sein?«
»Natürlich kann auch Selbstmord nicht ausgeschlossen werden. Wer weiß schon, was in seinem Inneren vorging, als er nach all den Jahren zurückkehrte? Vielleicht ertrug er es nicht, sich der Reaktion von Freunden, Medien und nicht zuletzt der Behörden zu stellen. Wir wollen nicht vergessen, dass er sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht hat, auch wenn es mittlerweile ein Vierteljahrhundert zurückliegt.«
Die Sendung ging mit anderen Nachrichten weiter. Meijtens schaltete aus und blieb mit der Fernbedienung in der Hand sitzen. Der Bericht war weitschweifiger gewesen als die Analyse der beiden Saunagänger, aber das Fazit lautete ungefähr gleich. Und ihre Schlussfolgerungen basierten auf Meijtens’ Artikeln.
Er hätte darauf bestehen sollen, die These zu vertreten, dass Erik Lindman kein Spion war, hätte nicht akzeptieren dürfen, dass Bertil Andersson sie zu einem kleinen Kästchen mit einem Fragezeichen hinter der Überschrift eingedampft hatte. Er dachte an das kleine museale Kinderzimmer und an Erik Lindmans Eltern. Jetzt ging für sie wieder alles von vorne los.
Wenn es nicht in Strömen gegossen hätte, wäre er zu einer Fahrradtour aufgebrochen, um den Kopf freizubekommen. Stattdessen öffnete er eine Flasche Wein der billigen spanischen Sorte, die jemand im Možels Parafino genannt hatte. Hinterher hatte er keine Ahnung, wie lange er am Fenster gesessen, dem Regen gelauscht und unzusammenhängenden Gedanken nachgehangen hatte.
Als es an der Tür klingelte, zuckte er zusammen. Er nahm an, dass es jemand war, der sich über seine Benutzung der Waschküche beschweren wollte, oder ein Zeuge Jehovas, stellte zu seiner Überraschung jedoch fest, dass es Natalie war.
»Warum gehst du nicht ans Telefon?« Ihr Mantel war klatschnass, und ihre Haare hingen herunter wie an einer ertränkten Katze. Er antwortete, dass er das Telefon ausgesteckt habe, und Natalie verzog das Gesicht zu einer Miene, die er in der schummerigen Beleuchtung im Treppenhaus nicht deuten konnte.
»Lässt du mich jetzt herein, oder bist du beschäftigt?«
Sie klang kurz angebunden.
Meijtens zog die Tür auf und mache eine einladende Geste. »Natürlich, komm rein.«
Er half ihr aus dem Mantel, holte ein Handtuch und breitete seine Wolldecke mit Schottenkaros auf dem einzigen Sessel der Wohnung aus. Natalie schlug sie um sich und wickelte sich das Handtuch wie einen Turban um den Kopf.
»Bertil hat sich gefragt, wo du heute gewesen bist. Aber er verzeiht dir.«
»Tatsächlich. Wein?«
Sie nickte. »Ich muss gestehen, dass ich mich das anfangs auch gefragt habe, aber ich habe da so meine Vermutung.«
Natalie ließ den Blick zu der Zeitung schweifen, die noch bei dem Interview mit Sjöhages Frau aufgeschlagen lag. Meijtens holte ein sauberes Glas.
»Du musst das abhaken. Es war nicht deine Schuld.« Ihre Stimme war ernst, und plötzlich musste Meijtens an ihre Fernsehsendung denken. Er schenkte ihr ein Glas Wein ein, sagte aber nichts.
»Wenn du mich fragst, wirkt sie ein bisschen hysterisch«, sagte Natalie.
Meijtens schüttelte nachdenklich den Kopf. »Sjöhages Frau hat recht. Das ist das Schlimmste daran. Alles, was sie in dem Interview sagt, entspricht der Wahrheit. Er war nicht korrupt. Er war nur ein unfassbar loyaler Berufspolitiker mit einem Jesuskomplex.«
Für einen kurzen Moment erinnerte er sich an das Bibelzitat und schloss die Augen.
»Okay, dann war er eben kein Schurke. Aber dein Artikel ist immer noch makellos. Er hat diese Dinge gesagt. Du hast sie geschrieben. Punkt.«
Sie probierte den Wein und grimassierte.
»Tee?«
Sie nickte. »Tobias, keiner versteht besser als ich, wie man sich in so einer Situation fühlt. Das weißt du.«
»Ich habe nur eine Sorte«, sagte er und hielt die Dose mit Jasmintee hoch.
Sie sagte etwas, aber er unterbrach sie.
»Hast du die Nachrichten gesehen?«
Sie lächelte rätselhaft und nickte.
»Hast du schon einmal einen solchen Bockmist gehört? Der Typ hat ja wirklich alles falsch verstanden.«
Natalie lachte kurz. »Man nennt ihn Prawda, weil seine Analysen immer mit der offiziellen Regierungspolitik übereinstimmen. Egal, wer gerade an der Regierung ist.«
»Aber wo hat er das alles her? Vom Staatsschutz?«
»Vermutlich, aber auch von anderen.« Sie rückte ihren Handtuchturban ein wenig zurecht. »Unter anderem von mir.«
Meijtens
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