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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ich laut –, hier ist meine Haut. Nur los, holt sie euch.)
    Eine Genehmigung hatten sie auch nicht.
    Wir wollen doch nicht als scheinheilig dastehen, hatte Andrea argumentiert; was werden die Leute denken, wenn wir uns nicht an die Regeln halten, so wie die Montana Freemen und die Phineas Priests und die übrigen selbstgerechten Zurück-zum-Ursprung-Rüpel? Aber Tierwater wußte, daß sie die Regeln sogar systematisch übertreten mußten, wenn sie diese Sache durchstehen wollten – ganz zu schweigen von dem Statement, das sie abzugeben planten. Was für ein Statement wäre es schon, wenn sie aufgaben? Oder schlimmer noch: wenn sie umkamen? Das hier war ein Experiment, und die Wildnis war das Laboratorium. Sie würden tun, was sie zum Überleben tun mußten – darum ging es doch, oder? Fangen und wieder freilassen . Ob die Buschmänner wohl ihre Fische fingen und wieder freiließen? Und wie war das mit Urgroßvater Knowles gewesen – hatte er etwa von Luft gelebt, als er die Wälder von Maine durchstreifte?
    Es war sechs Uhr vorbei, und in der Schlucht wurde es bereits kühl, als sie endlich ein geeignetes Plätzchen für ihr Lager fanden, eine Sandzunge auf der anderen Seite des Flusses, hinter der eine Felswand aufragte. Sie wateten hinüber, der Fluß war keine zehn Meter breit und an dieser Stelle nur einen halben bis einen Meter tief, und das eisige, schnell strömende Wasser fühlte sich gut an auf ihren gepeinigten Füßen und verbrannten Beinen. Sie hatten vereinbart, daß für die erste Nacht die Errichtung eines Wetterschutzes oberste Priorität besaß – um Nahrung würden sie sich am Morgen kümmern. Also gingen Tierwater und seine Frau brav daran, Zweige und Laubwerk zu sammeln, um ein Naturdach zu konstruieren, streng nach den Anweisungen in einem der Survival-Handbücher, die sie bei Ratchiss im Bücherschrank gefunden hatten. Es war eine reichlich rudimentäre Angelegenheit: auf einem Baumstumpf oder Felsen wurde in einem Meter Höhe ein Ast quer aufgelegt, gegen den sie zu beiden Seiten Zweige lehnten, und diese Konstruktion deckten sie schließlich mit Blättern und Buschwerk ab. Dann noch das Innere mit vier oder fünf Armvoll Laub als Bettstatt ausgelegt, und in Null Komma nichts hatte man ein halbwegs wetterfestes Obdach für die Nacht.
    Die Dämmerung brach herein. Eine Wand aus kalter Luft arbeitete sich Meter für Meter den Cañon hinab, ließ sich in den tieferen Zonen nieder, tastete sich um die Ecken, verlangsamte den Metabolismus der verborgenen Schlangen und Skorpione und verpaßte Tierwater eine prickelnde Gänsehaut. Er kauerte über einem Feuerbrett – das heißt, einem sonnengebleichten Stück Treibholz – und drehte darin einen langen, schmalen und beinahe geraden Stab aus demselben Material. Andrea kniete neben ihm, sie hatte Pflanzenreste im Haar, ihre Brüste waren zerkratzt und verschrammt vom Schleppen vieler Ladungen Strandgut aus dem Fluß, sie rieb die großen Hände aneinander. »Fester, Ty«, trieb sie ihn an, »es raucht schon ein bißchen.« Und das tat es, ja, es rauchte, die Spindel fraß sich in die Mulde, während er sie heftig zwischen den Handflächen hin- und herdrehte, und das matte Glimmen einer Glut rötete die Spitze des Feuerholzes, Reibung und noch mehr Reibung, nun blies Andrea hinein, pustete mit aller Kraft. Da war sie – die Glut! Und diese Glut entzündete auch das Reisig für einen flüchtigen, verzweifelten Moment, ehe das Ganze als dünnes kleines Band aus Rauch erstarb. Nach Tierwaters Zählung war es das siebenundzwanzigste Mal, daß dieser Ablauf sich im Lauf der letzten Stunde wiederholte. Er war erschöpft. Seine Hände waren wund. Er ließ sich niederplumpsen und die kalte Luft über seine Schultern fallen wie den Mantel der Niederlage.
    In diesem Augenblick wehte der Geruch eines problemlos brennenden Lagerfeuers zu ihnen, beißend und durchaus köstlich in der kühlen Luft. Dazu der Duft nach Essen – irgendeine Sauce, Tomatensauce, und das unverkennbare Aroma von frischem Kaffee. Tierwater zog seine Frau an sich und nahm sie in die Arme, und es war der traurigste Moment des gesamten Abenteuers. Gemeinsam wandten sie die Köpfe, um durch die Weidenzweige am Flußufer hundert Meter weiter stromaufwärts zu spähen. Durch das Gebüsch konnten sie mit Mühe die Gestalt von Chris Mattingly ausmachen, der gemütlich vor seinem Feuer saß. Und dann, so leise wie die ersten zögerlichen Laute der Vögel an einem kalten Frühlingsmorgen, drang

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