Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Abenteuer, die sie beide berühmter machen würde als alle Foxes und Phantoms zusammen. Als Andrea zum erstenmal davon sprach, wand und wehrte er sich, protestierte und flehte, brachte alle Scheinargumente der Sophisten und Jurastudenten auf, aber das geschah nur der Form halber – insgeheim freute er sich. Mit nichts in der Hand in die Wildnis hinauszugehen, um dort zu jagen und zu sammeln und zu überleben, so wie die ersten Hominiden auf der Pirsch durch die Ebenen Afrikas, das war doch etwas: diese Phantasie brannte im atavistischen Herzen jedes Umweltschützers, der den Namen verdiente. Und er gehörte zu ihnen, war jetzt so weit wie nur möglich entfernt von seinem Einkaufszentrum und dem Leben als lebender Toter, das er so viele Jahre lang geführt hatte. Und obwohl seine Füße schmerzten und die Lust auf seine Frau in ihm brannte und er schon jetzt das erste Rumoren von Hunger verspürte, trotz der gewaltigen Mengen von Schinken, Speck, Pfannkuchen und Rührei, die er zum Frühstück in sich hineingestopft hatte, fühlte er sich im Frieden mit sich selbst, fühlte sich erfüllt, ja glücklich.
    Sie marschierten den ganzen Nachmittag hindurch, folgten einem Pfad, der sie aus dem eigentlichen Nationalpark hinaus und in eine entlegene Wildnis führte (Zutritt nur mit Genehmigung, Motorfahrzeuge, Jagen und Holzfällen, Fallen, Schlingen, Treib- und Kastennetze waren verboten, Angeln durfte nur auf der Basis des Fangen-und-wieder-Freilassens stattfinden, und Bierdosen, Kettensägen sowie Ghettoblaster wurden entschieden mißbilligt). Es war ein alter, gewachsener Wald, die Redwoods standen in Hainen entlang der sprudelnden Bäche, auf den Hügeln erhoben sich die Kiefern wie Borsten einer Bürste, und es herrschte vollkommene Stille, bis auf das Krächzen eines Hähers oder einen Windhauch, der sich mit einem langen, verhaltenen Seufzer in den Baumwipfeln ankündigte. Es war trocken. Und warm. Sehr warm. Tierwater spürte einen Sonnenbrand auf der Rückseite der Oberschenkel und seinem eigenen schmalen Hintern, und er sah zu, wie Schultern und Rücken seiner Frau zuerst einen Rosaton und dann ein Rot wie frisch versohlt annahmen, während der Tag dahinging (und dies obwohl sie als vorbeugende Maßnahme in den letzten zwei Wochen mindestens eine Stunde lang täglich nackt in der Sonne gelegen hatten). Aber man konnte sich nicht vor der Sonne schützen, nicht wenn man in der Natur leben wollte, ebensowenig wie gegen all die übrigen Widrigkeiten des natürlichen Lebens – Insekten, Schlangenbiß, die Elemente –, und sie waren beide bereit für dieses Opfer. Trotzdem: was würde er nicht für eine Tube Sonnenschutzcreme geben oder auch nur für eine Handvoll hawaiianisches Bräunungsöl.
    Aber sie hatten keine Sonnencreme. Sie hatten weder Zahnpasta noch Zahnseide, weder Aspirin noch Fußpuder, noch Streichhölzer, Geschirr oder Besteck, weder Daunenkissen noch Decken, keine Mobiltelefone, ja nicht mal einen Ring oder einen Armreifen zum Schmücken ihrer nackten Körper. Die vielen Dinge, die er in seinem Leben angesammelt hatte, das ganze Zeug von seinen Eltern, sein Haus, sein Büro und sogar das bißchen, das er bei Ratchiss sein eigen genannt hatte – all das war nicht mehr da und unerheblich, und er war wie einer der umherstreifenden Buschmänner der Kalahari, schwarzgebrannte bärtige kleine Kerlchen, die sich wohlhabend glaubten, wenn sie ein leeres Straußenei als Wasserbehälter besaßen. Sicher. Und auf was würden Andrea und er sonst noch verzichten müssen? Kaffee, Biscuits, Thunfisch in Dosen, Schokolade, Wodka. Bücher, Musik, Fernsehen. Heftpflaster. Jodtinktur. Schlangenserum.
    Letzteres war wirklich wichtig. Wirklich wesentlich. Unabdingbar im Grunde. Denn ihr Ziel war ein Abschnitt des oberen Kern River, tief unten in der Schlucht, den der Fluß sich im Lauf der Äonen gegraben hatte, und dort gab es wahre Schwärme von Schlangen – so hatte es Tierwater jedenfalls von drei Vierteln der Bewohner von Big Timber gehört, die allerdings sämtlich noch keinen Fuß in diesen Wald gesetzt hatten. Aber sie hatten nicht einmal Wanderstiefel, dicke Socken oder feste, steife Bluejeans, um sich gegen den zornigen Biß der giftigen Fänge zu schützen. Oder Skorpione – was war mit Skorpionen? Zecken? Käfer? Pumas, Bären, tollwütige Stinktiere? Was war damit?
    (Letztendlich? Wie ich das damals empfand? Ich hieß sie willkommen, allesamt willkommen. Hier ist meine Haut, murmelte ich – ach was, sagte

Weitere Kostenlose Bücher