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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Vorgehensweise?«
    Tierwater gab sich keine Mühe zu antworten, denn hätte er geantwortet, wäre es mit einer Gegenfrage gewesen – und zwar eine Frage, die garantiert echten Ärger ausgelöst hätte: Wessen Idee war das hier überhaupt? Also sagte er lieber nichts.
    »Was ist mit Murmeltieren? Gibt es hier Murmeltiere?«
    Das Feuer knackte. Es war noch früh, die Sonne butterte den Hügelkamm vor ihnen, der Cañon lag noch in dunkle Schatten getaucht. Tierwater war immer sehr für ein Frühstück gewesen – und zwar für ein herzhaftes Frühstück –, wenn er morgens aufstand. Es ist die wichtigste Mahlzeit des Tages , hatte seine Mutter immer gesagt, und sie hatte recht. Er wollte Kaffee, mit ordentlich Sahne und viel Zucker drin, er wollte Eier und dicke Scheiben kanadischen Speck, herrlich kroß getoastetes Hefebrot mit Butter, aber er erhob sich, und das Bild eines Murmeltiers – eines fetten, gelbkehligen Wesens, wie ein riesengroßes Eichhörnchen, aber so dumm, daß es nicht viel schlauer war als die Steine, zwischen denen es lebte – stand ihm klar vor Augen. »Hab früher mal Murmeltierdreck gesammelt«, sagte er und blinzelte wegen des Rauches. »Ich glaube, ich weiß, wo welche zu finden wären – da oben vermutlich«, sagte er und deutete auf die Anhöhe hinter ihnen.
    Sie blickten einander einen Moment lang an, ihre Körper verschmutzt, geschunden und praktisch sexlos, und dann drehten sie sich gleichzeitig um und kletterten den Hügel hinauf. Leicht war das nicht. Schon nach nur fünf Tagen spürten sie die Auswirkungen der Unterernährung, eine Schwäche der Glieder, eine Unbeholfenheit, die ihren Schritten jede Eleganz nahm, ihre Gehirne fühlten sich an wie mit Zellulose vollgestopft. Sie rangen nach Luft wie Perlentaucher, ließen Stückchen von sich auf der rauhen Schale der Felsen zurück. Jeder Busch riß an ihnen. Sie schmeckten den eigenen Schweiß, das eigene Blut. Und als sie den Kamm des Cañons erreichten, eröffnete sich ihnen noch mehr Landschaft, ein wunderschönes Panorama, aber nichts davon genießbar. »Wir müssen ihre Löcher suchen«, keuchte Tierwater zwischen zwei tiefen, rasselnden Atemzügen.
    Andrea starrte ihn nur an, sie rang nach Luft, die ganze Welt war hinter ihr ausgebreitet. Löcher, sie suchten nach Löchern.
    Sie verteilten sich und suchten den Hügel ab, dabei scheuchten sie Eidechsen auf, die so schnell flitzten, daß sie gar nicht sicher sein konnten, sie gesehen zu haben. Sie kauten Zweige und hie und da eine unbekannte Beere, die giftig sein mochte oder nicht, aber sie fanden keine Losung, keinen Bau, kein Zeichen dafür, daß hier tatsächlich Murmeltiere – oder irgend etwas anderes – lebten. Tierwater, dessen empfindliche Haut auf Rücken und Schultern zur Unkenntlichkeit verschmort war, erfand Ausreden, fuchtelte mit den Händen herum und kramte Murmeltiergeschichten hervor, als sie unvermittelt erstarrten. Ein Geräusch drang durch die Luft, ein hoher, keckernder Pfiff, der von der benachbarten Anhöhe zu kommen schien. »Hörst du das?« fragte Tierwater, und seine Miene mußte ein echtes Schauspiel gewesen sein – geben wir ihm ein schiefes Grinsen, den Blick des wahnsinnigen Wissenschaftlers, das Aussehen des Kannibalen, der um die Ecke biegt und auf einen Sumoringer trifft. »Das ist ein Murmeltier. Gar kein Zweifel.«
    Von dem Geräusch geleitet, schlichen sie in Deckung der hohen Kiefern durch das Gesträuch, bis sie eine Lichtung erreichten, die von etlichen Findlingen beherrscht wurde; im Zentrum dieser Steine saß, den breiten, flachen Nagetierkopf hin- und herwerfend im Rhythmus seines Rufes oder Kreischens oder was es auch war, ein Murmeltier. Ein gelbbäuchiges Murmeltier, fett und appetitlich. Tierwater sah Andrea an. Andrea sah Tierwater an. Er legte sich einen Finger auf die Lippen und bückte sich nach einem dicken Stock.
    Eine Stunde lang robbten und krochen sie durch kratziges gelbes Gras, Tannenzapfen schabten an ihren Bäuchen, und sie beschlichen das Tier von entgegengesetzten Seiten. Es war heiß. Tierwater war weiß von Staub, und ihn juckte jede Faser seiner zerschundenen, zerkratzten Haut. Er sah Andreas Kopf hinter einem umgestürzten Baumstamm auftauchen, drei Meter hinter dem Murmeltier, dann holte er tief Luft und ging auf das Tier los, den Stock zum Schlag erhoben – und sie erhob sich daraufhin ebenfalls mit einem Kampfruf, den eigenen Knüppel fest gepackt. Sie hatten sich vorsichtig angepirscht, taktisch geradezu

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