Ein Freund der Erde
brillant, doch leider blieb das Murmeltier davon unbeeindruckt. Mit einem Pfiff, der an den ersten leisen Ton eines kochenden Teekessels erinnerte, verschwand es in seinem Loch.
»Na schön«, sagte Tierwater. »Bitte sehr, dann graben wir es eben aus.«
Und so gruben sie, mit brüchigen Kiefernästen statt mit Pickel und Spaten, in dem trockenen, steinigen Boden, und in ihnen rumorte und blubberte es, ihre Mägen verkrampften sich um ein Nichts. Sie gruben wortlos, ohne zu denken, Erde und Steine flogen auf, Äste brachen, und ständig hatten sie die Vision dieses dummen, stumpfäugigen Hasenzahntiers vor Augen – Fleisch, am Spieß brutzelndes Grillfleisch –, bis ihnen allmählich ein Geräusch in ihrem Rücken bewußt wurde, ein hoher, keckernder Pfiff. Sie fuhren beide herum und sahen das Murmeltier, das sie aus der Öffnung eines Baus etliche Meter weiter weg beobachtete und tadelnd mit dem Kopf wackelte. Tierwater hob einen Stein auf; das Murmeltier verschwand. »Kein Problem«, sagte Tierwater und drehte sich zu seiner Frau um. Sie war total verdreckt, das war sie, pechschwarze Hände, überall am Körper von einer feinen Schicht überzogen, die mit dem eigenen Schweiß an ihr klebte. »Du bleibst hier bei dem Loch da, ich grabe es da drüben aus.«
Und so gruben sie wieder, mit frischer Energie, sahen die Entfernung zwischen sich schrumpfen, während Tierwater den Gang in einer mäandrierenden Linie auf Andrea zu verfolgte, die sich ihm entgegenarbeitete. Eine halbe Stunde verging. Eine ganze. Und dann, endlich, obwohl sie kaputt waren – verkrampft, kaputt und zornig –, war das Ende in Sicht: es trennten sie keine zwei Meter mehr. »Ich scheuche es raus«, flüsterte Andrea heiser, »und du schlägst zu, Ty, prügel ihm die Seele aus dem Leib.« Ja. Und dann hörten sie den Pfiff weiter hinten, und da saß das Murmeltier, dieses fette, dumme Ding, und lugte aus einem weiteren Ausgang seines Baus.
Dreißig Tage sind eine lange Zeit zum Naturspielen. Eine unendlich lange Zeit. Aber sie lernten aus ihren Fehlern, bis sie es irgendwann, dank Koordination und höchster Konzentration, doch irgendwie zu einem Hungerdiät-Speisezettel brachten, wobei sie immer wieder über Urgroßvater Knowles und das enorme Durchhaltevermögen staunten, das er besessen haben mußte. Mit der Zeit fingen sie doch ein paar Tiere, die sich essen ließen. Sie trieben Fische in flache Tümpel und angelten sie mit einer Art Kescher heraus, den Tierwater eines Nachmittags gebastelt hatte (meist war es die geschützte Goldforelle, Salmo aguabonita , aber auch Plötzen und Weißfische); sie sammelten Grillen, Grashüpfer und Beeren; sie rotteten eine ganze Kolonie von Süßwassermuscheln aus, die nach Schlamm und unverdauten Algen schmeckten. Sie plünderten Vogelnester, kauten ständig auf Zweigen herum, um den Hunger niederzukämpfen, der sie Tag und Nacht quälte, und sie lungerten wie Flüchtlinge um Chris Mattinglys Camp herum, an der eigenen Spucke würgend. Des Nachts, wenn sie in Laub gewickelt dalagen, wenn die Stille herabsank und kein Geräusch mehr zu hören war bis auf das Plätschern und Gurgeln des Flusses, der sich immer tiefer ins Land grub, da träumten sie von Essen. »Erdnußbutterkekse«, murmelte Andrea im Schlaf. »Cheeseburger. Nachos. Für mich bitte nur kurz angebraten.«
Die Tage dehnten sich, jeder für sich eine Ewigkeit, tierische Tage, Tage ohne Bewußtsein oder bewußte Gedanken. Keine Bücher. Kein Fernsehen. Kein Sex. Jeder wache Augenblick wurde verwandt auf ein rastloses Irren und Wandern auf der Suche nach Nahrung, und es gab auch keine festen Essenszeiten, nicht bei Tagesanbruch, zu Mittag und am Abend. Nein, sie stürzten sich einfach nur auf alles, was es ihnen zu fangen oder sammeln gelang – Beeren, Blätter, ein Eidechsenpärchen, zu Brei zermalmt von einem exakten Schlag auf den Schädel –, und sie aßen gierig, keine Zeit für Tischmanieren oder Selbstverzicht oder auch nur einfache Höflichkeit, keine andere Zeit als die Urzeit. Andrea war mit der Natur aufgewachsen. So lange sie sich erinnern konnte, war sie gewandert und geritten, war angeln und zelten gegangen, sie hatte das Blut des verrückten Einsiedlers Joseph Knowles in den Adern, trotzdem war das hier zuviel für sie, Tierwater spürte es, noch ehe die erste Woche vorbei war. Und auch für ihn war es zuviel, zuviel Leiden, nur um etwas zu beweisen, obwohl es auch Momente gab, in denen er in das flüssige Tosen des Wassers
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