Ein Freund der Erde
(über ihn später mehr) trieb ich damals auf dem windgepeitschten Lake Cachuma, zu meinen Füßen acht große Plastikbehälter mit Tetrodotoxin. Der See lag im Santa Ynez Valley und war das Wasserreservoir der Stadt Santa Barbara. Der Giftstoff, dasselbe Toxin, das auch in der Leber des Kugelfisches – auch Fugu genannt – konzentriert ist und von dem Bakterium Alteromas produziert wird, war im Labor für Süßwasser adaptiert worden und eintausendzweihundertfünfzigmal tödlicher als Zyanid. Jedenfalls dachte ich das, aber der Schein kann trügen.
In Wahrheit hatten mich Sandman und der FBI-Typ (Tätowierungen, Zungenpiercing, täuschend echt sein Outfit als transgenetischer Spinner) zu dieser Sache angestiftet, weil sie vermutlich hofften, über mich an die Führungsspitze von E.F.! zu gelangen, aber mittlerweile hatten mir Andrea und Teo und die anderen längst den Rücken gekehrt, also hieß es jetzt oder nie für die beiden. Doch als der Moment gekommen war, als es Zeit wurde, die Kanister auszukippen und so langsam das Gleichgewicht zugunsten der Tiere zu verschieben, da konnte ich es nicht tun. Obwohl ich mich gestählt hatte, obwohl ich schäumte und tobte und mir ins Gedächtnis rief, daß ein Freund der Erde zugleich ein Feind der Menschen sein mußte, obwohl Sandman und ich hundertmal konstatiert hatten, daß, wenn ein Baby und ein Ameisenbär gleichzeitig in einen Abzugsgraben fielen, das Menschenbaby geopfert werden müsse, obwohl dies die Endlösung und ich zu ihrer Vollstreckung auserwählt war – als es ans Handeln ging, verlor ich den Mut. Wirklich. Glaubt mir. Nehmt mir wenigstens das ab.
»Hab ich recht?« Das gespannte Gesicht des Mannes ist voller Pusteln, roh wie eine geschälte Weintraube. »Damals hat man Sie die menschliche Hyäne genannt, stimmt doch?«
Ich sitze auf einem Stuhl in der Halle. Andreas brüchige, essigsaure alte Stimme erzählt zum hundertstenmal von Dandelion, der »auf einmal einfach da war, wie aus dem Nichts kam er«. Ich habe noch nie so viele Bullen gesehen – in Zivil, in blauer Uniform, im Beige der Autobahnstreife. Und unten im Keller schnüffelt ein äußerst wachsames Sondereinsatzkommando der Polizei von San Luis Obispo herum, bereit zu tun, was getan werden muß. Mir bricht das Herz – nein, es wird zermalmt, mein Herz liegt auf dem Hackklotz und ein Hammer schlägt darauf ein, bis sämtliche Muskelfasern nur noch Brei sind. Mac ist tot. Und die Tiere sind als nächstes dran. Ich mache mir nicht die Mühe zu antworten.
»Aber was tun Sie hier?« fragt der Mann, und ein Mikrofon hat er auch, ein schmales schwarzes Ding, das wie ein Gewehrlauf auf mein Gesicht zielt. »Kennen Sie Maclovio Pulchris? Ich meine, kannten Sie ihn?«
Ich denke darüber nach, ich denke an Mac und daran, wie er mir eine Chance gab, als ich das letztemal aus dem Gefängnis kam – mir, einem Niemand, den er als einen von fünf oder sechs Lakaien dazu anheuerte, für die Vietnamesischen Hängebauchschweine, Emus, Pferde und Hunde zu sorgen, auf dem gesamten Grundstück gab’s keine miesere Arbeit. Aber es war ein Anfang, und ich war dankbar dafür. Und es dauerte auch nicht lange, bis er auf mich aufmerksam wurde und wir zu quatschen anfingen – zuerst über die Hängebauchschweine und ihre Ernährung, dann aber auch über anderes, über so weitreichende Themen wie das Wetter und das Ende des Planeten und die Wahrscheinlichkeit eines Gottes und wer ich wirklich war – du heißt gar nicht Tom Drinkwater, oder? Er hatte mich erkannt. Hinter der Sonnenbrille, den Aalpeitschen und dem ganzen Gehabe empfand Mac viel tiefer, als man hätte meinen können. Er hatte von Anfang an gewußt, wer ich war, und er war das Risiko eingegangen. Die übrigen Mitarbeiter blieben allmählich auf der Strecke, alle bis auf Chuy, und Mac und ich heckten den Plan aus, daß wir tun würden, wozu weder die Natur noch die Zoos imstande waren – und beinahe wäre es uns gelungen. Aber »beinahe« ist natürlich ein sinnloses Wort. Sagen wir so: es hätte uns gelingen können – wenn die Dinge anders gekommen wären. Ganz anders.
Der erste einer Folge von gedämpften Schüssen erklang tief aus den Eingeweiden des Hauses. »Waren Sie dabei, als er starb? Können Sie mir irgend etwas darüber erzählen, ich meine, wie ist es gewesen?«
»Wegen des Unwetters«, sagt Andrea am anderen Ende des Raumes, in leicht entnervtem Tonfall, »wegen der Überschwemmung...«
Auch Chuy kämpft gegen eine
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