Ein Freund der Erde
Beine übereinander, dann macht er den Vorgang wieder rückgängig, »Sie haben also die Privatmenagerie von Maclovio Pulchris betreut.«
»Zehn Jahre lang Scheiße geschaufelt«, bestätige ich und betrachte die Zitronenscheibe, die in meinem Glas herumschwimmt.
»Und Sie waren speziell für die Löwen zuständig?«
»Stimmt genau. Da gab es auch eine Menge Scheiße zu schaufeln. Und dann das Fleisch. Beim derzeitigen Zustand der Welt war es natürlich kein leichtes, sie immer gut genährt und einigermaßen gesund zu halten, aber wenn wir hier nicht ständig diesen beschissenen El Niño hätten« – hier muß ich eine Pause einlegen, weil ich eine plötzliche Verengung in der Kehle verspüre, die mir fast die Luftröhre zuschnürt –, »dann wären sie immer noch wohlauf. Und Mac auch.«
Der Lektor – wie hieß er noch schnell? Der Name ist mir entfallen – nickt einfach nur.
»Sie wissen, wer ich bin«, sage ich, »oder?«
Er nickt noch einmal.
Ich stütze mich auf meine knochigen Altmännerknie und bedenke ihn mit meinem durchtriebensten Blick, und ich sehe mich als schemenhafte Reflexion in dem Bild von Marvin Gaye, das hinter ihm hängt. Ich sehe aus wie ein Yankee-Roßtäuscher, wie ein Gebrauchtwagenhändler – oder schlimmer noch: wie ein Fundamentalistenprediger. »Sie wollen ein Buch, ich gebe Ihnen eines. Nicht nur über Mac oder meine Tochter, sondern über mich und das, was ich durchgestanden habe bei meinen Rettungsversuchen für diesen jammervollen Planeten und die, die« – wieder zieht sich mir unwillkürlich die Kehle zusammen – »die Tiere.« Und jetzt muß ich einen Moment lang innehalten, um mich zu sammeln. Mein Herz ist schwer, mein Kopf leer. In den ausgedörrten Winkeln meiner Altmänneraugen sammelt sich Feuchtigkeit, und ich muß sie mit zwei zitternden Fingern wegwischen.
»Darum haben wir uns nämlich bemüht, Mac und ich«, sage ich, und ich flehe ihn jetzt an, ich kann mich nicht beherrschen. »Wir wollten die Tiere retten. Für die Erde ist es zu spät. Und für uns auch. Aber die Tiere – wenn wir sie nur vor dem Aussterben bewahren können, bis wir weg sind... Sie werden sich immer anpassen, keine Frage, und an unsere Stelle würde etwas Neues treten. Das ist unsere Hoffnung. Die einzige Hoffnung.«
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt bin ich auf den Beinen und versuche meine Gedanken zu ordnen, um ihm vom Artensterben zu erzählen und daß wir uns am Ende des sechsten großen Artensterbens befinden, das unseren Planeten heimsucht, verursacht durch uns, den Menschen, den Fortschritt, daß es aber zu einer neuen Artenbildung kommen wird, sobald der Mensch weg ist, einer Explosion der Formen, die überall entspringen werden, um die vielen verlassenen Nischen zu besetzen, zu einer Transformation, wie es sie seit dem Kambrium vor fünfhundertsiebzig Millionen Jahren nicht mehr gegeben hat, aber er hört mir nicht zu. Es ist 9.15 Uhr, er ist den weiten Weg von New York geflogen, und jetzt verkneift er sich ein Gähnen auf Macs Couch im Motown Room, unter dem wabernden Bild der Four Tops. Er will nichts über die Umwelt hören – die Umwelt ist jetzt sowieso überdacht, bis hin zu den Kuppelfeldern, auf denen die Rucola für seinen Salat wächst, und den vier Wänden, die er sein Zuhause nennt. Die Umwelt ist ein Langeweiler. Niemand will darüber lesen – niemand will davon wissen –, und trotz aller Aktivitäten von April Wind (und Andrea) will auch keiner etwas von Sierra wissen. Oder von mir. Nein, was die Leute wissen wollen – das geht mir plötzlich mit einer solchen Klarheit auf, daß ich es nur dem Neurobooster zuschreiben kann, den ich heute früh eingeworfen habe –, sie wollen hören, ob das Wetter je wieder normal werden wird und wie es Maclovio Pulchris mit dem Sex gehalten hat.
Und da ist auch schon, wie aufs Stichwort, die kleine, süße, nicht mehr ganz so junge April Wind, sie betritt den Raum mit Trippelschrittchen wie ein Götzenwesen der Ituri-Pygmäen, um alles en détail zu erzählen.
Mag ja sein, daß meine Tochter und die von ihr gebrachten Opfer und überhaupt die gesamte Welt jenseits der Computerschirme Ronnie Bott und Bertelsmann West piepegal sind, aber mir nicht, immer noch nicht, ich kann nicht anders. Nennt es den Altersstarrsinn. Nennt es Nostalgie. Aber nachdem ich fünf Monate lang mit April Wind herumgehangen habe und mir ihre bohrenden Fragen langsam ebenso verhaßt waren wie die abstruse Idee einer Sierra-Tierwater-Biographie, will
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