Ein Freund der Erde
Grundstück und den Sachwerten von Melisma House in Santa Ynez, Kalifornien, zu verhindern«. Melisma House. Ich wußte nicht mal, daß das Haus einen Namen hatte. Mac hat ihn bestimmt nie verwendet – er nannte es nur »die Ranch«, wenn er es überhaupt irgendwie nannte. Tja: nun hat dieser Ort einen Namen, und wir sind dort nicht mehr willkommen.
Ich bin im Besitz dieser Information, weil ich als einziger vor dem Haus stehe und bei dreiundvierzig Grad einen Hitzschlag riskiere, als der Bote eintrifft (jawohl, Bote: die lassen uns das Ding persönlich aushändigen, wie eine Vorladung). Es ist erst elf Uhr morgens, die Sonne ist in diesem Leben noch nie woanders gewesen als genau über mir, und Chuy und ich, hoffnungslose Narren und optimistische Pessimisten, die wir sind, versuchen gerade, aus dem Strandgut entlang der Ufer des nunmehr offiziell ausgetrockneten Pulchris River neue Käfige für die Honigdachse, Petunia und die Pekaris zu zimmern. »Yo!« ruft jemand, und das ist wieder so ein jungjunger Typ in einem Anzug von der Größe und Farbe eines Rettungsfloßes (extrem hip, wie ich höre) und mit einer dieser Frisuren, die ein Gesicht überflüssig machen. »Yo«, wiederholt er. »Sie sind Tierwater?«
Bin ich. Und ich klappe meine Brille auf und lese die Mitteilung in Ruhe, während Chuy mit einem fünf Meter langen Brett aus Synthetikholz kämpft (denken wir an Plastik; Kunstharz und die pulverisierten Überreste zermahlener Autoreifen), das früher mal die Fassade der Apartments gegenüber zierte. Das ist der Todesstoß, der letzte Nagel im Sarg meines nutzlosen Lebens auf diesem nutzlosen Planeten, aber es wäre eine Lüge zu sagen, ich hätte nicht damit gerechnet. Trotzdem jagt es mir schreckliche Angst ein – die Angst vor dem Nichts, vor der ungewissen Zukunft und dem unausweichlichen Ende. Ich bin verloren. Ich bin verletzt. Ich habe weder Einkommen noch Zuhause, und der einzige Ehrgeiz, der mir jetzt noch bleibt, ist es, zu den Altalten zu gehören. Andrea , denke ich, Andrea wird wissen, was zu tun ist , und dann tragen mich meine Füße über die ausgebleichte Fläche vor dem Haus mit dem verdorrten Teufelsgras und den verdrehten, gummiartigen Fleischklumpen, die einmal Wanderwelse gewesen sind und jetzt überall herumliegen wie dunkle Wurfgeschosse aus einem zornigen Himmel. Eine mutierte Eidechse (zwei Köpfe, ein Bein) huscht unter einen Stein, um meinem Schatten zu entkommen. Meine Kehle ist trocken. »Mr. Ty«, ruft Chuy, »wohin Sie gehen?« Und was sage ich darauf, was krächze ich wie ein ausgemergelter alter Truthahn auf dem Weg zum Hackklotz? »Bin in einer Minute zurück.«
Andrea liegt dahingestreckt auf dem Bett im Grunge Room, nackt. Und sie schwitzt. Sie sieht gut aus, vor allem an den Stellen, wo die Sonne schlechte Chancen hatte, ihre Epidermis zu ruinieren, und einen Sekundenbruchteil lang frage ich mich, wann wir zum letztenmal Sex hatten – uns liebten, wie wir es damals nannten –, dann wedle ich ihr mit der Kündigung im Gesicht herum.
Sie wirft nicht einmal einen Blick darauf. »Diese Hitze«, sagt sie. »Schlimmer als in Arizona. Sei ein Schatz, Ty, bringst du mir was Kaltes zu trinken – vielleicht eine Cola light? Mit viel Eis drin?«
Was soll ich da sagen? Sicher, Mausimaus? Soll ich dich auch mal mit einem nassen Schwamm abtupfen? Dir die Füße mit Alkohol einreiben? Ich weiß es nicht, denn unsere Beziehung ist keine ideale, und dies ist kein idealer Planet, und wir leben nicht in einer TV-Komödienserie. Moment: vielleicht doch – aber dann frag ich mich, wo die Komödie bleibt, weil das alles wirklich nicht lustig ist. Ich wedle mit dem Schriftstück, bis es den Hauch eines kühlenden Luftzugs erzeugt, und sie murmelt: »Ah, das ist angenehm, sehr lieb von dir, hör nicht auf...«
»Es ist ein Räumungsbefehl«, sage ich mit ausdrucksloser Stimme. »Wir müssen in dreißig Tagen hier raus.«
Andrea setzt sich auf, und das ist schade, denn ihre Brüste, die sich sehr wohlgefällig auf ihren Rippen verteilt hatten, als sie schwitzend auf der Bettdecke lag, haben nun keine andere Wahl, als der Schwerkraft zu gehorchen und ihr Alter zu zeigen. Sie reißt mir den Brief aus der Hand und beugt sich damit zum Licht (Brille hat sie keine nötig, weder zum Lesen noch sonst – sie hat sich mit einer Radialkeratotomie auf 75 Prozent Sehstärke im linken und 100 Prozent im rechten Auge optimieren lassen, und glaubt bloß nicht, daß sie mir das nicht ständig
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