Ein Freund der Erde
will. Eigentlich weniger mit dem Brett als mit Hammer und Nägeln. Jedesmal, wenn er den Hammer ansetzt, rutscht ihm der Nagel aus den Fingern, und wenn er endlich den Nagel in Position hat, klappt es mit dem Hammer nicht. Das ist das Unkrautgift, dieses Dursban. Ich bin kein Physiologe, aber offenbar führt bei ihm jede große Anstrengung – besonders wenn er dabei schwitzt – zu Fehlzündungen im Nervensystem. Seine Augen rollen wild in den Höhlen, und die Finger spielen ein Arpeggio auf einem zehn Zentimeter langen Nagel, als ich ihm die Hand auf die Schulter lege. »Laß gut sein, Chuy«, sage ich zu ihm.
Der Nagel ist auf einmal zu heiß zum Anfassen, der Hammer noch heißer, und er läßt beides in den Staub fallen. »Gut sein lassen?« fragt er nach und blinzelt aus der Hocke schräg nach oben.
Ich sehe ihn nicht einmal an, starre nur auf die versengte Landschaft, von den ramponierten Apartmenthäusern gegenüber dringt der stete dumpfe Lärm von Wiederaufbau herüber, der Wind scheucht Miniaturzyklone herum, kein Lebewesen ist zu sehen, nicht einmal ein Vogel. Ich denke an die toten Löwen (die Kadaver waren verschwunden – ich frage mich, wer von diesen Spezialkommando-Cowboys jetzt wohl ein Löwenfell über der Couch hängen hat), und ich denke an Mac und daran, wie gern er etwas tun wollte für all die häßlichen Tiere da draußen, für die, die keiner lieben will , und ich denke an mich und mein ewig wahnhaftes Weltbild, damals war ich gerade aus dem Gefängnis raus und stellte mir vor, ich könnte etwas tun, etwas erreichen, auch in meinem Alter noch. »Wir sind hier fertig«, sage ich. »Es ist vorbei.«
Beim Mittagessen am nächsten Tag ist April Wind heroisch aufgedreht. Andrea und ich speisen uraltes Rindfleisch aus Macs Gefrierschränken, zusammen mit einem Potpourri aus gedünstetem Gemüse und einem Gratin aus getrockneten Kartoffeln, und wir spülen es mit einem 1992er Bordeaux hinunter, so satt und süffig wie Sirup und mit einem so berauschenden Bouquet, wie Gott es Adam am ersten Abend im Paradies serviert haben könnte. Prima Stoff. Könnt ihr mir glauben. April Wind rümpft die Nase angesichts des Rindfleischs und schiebt das Gemüse auf dem Teller herum, so wie es Sierra als Kind immer tat, aber nachdem sie sich zweimal nachgeschenkt hat, verkündet sie: »Es hat Spaß gemacht.«
Ich sehe Andrea an, aber ihr Blick sagt mir, daß sie weiß, was jetzt bevorsteht. In allen Einzelheiten.
»Ich wollte mich nur bei dir bedanken«, sagt April Wind und nähert dem kleinen Reißverschluß ihres Mundes mit der Gabel ein Stück gedünsteten Blumenkohl, doch er plumpst punktgenau in ihr Weinglas. Der Wein läuft daraufhin über und perlt am Stiel hinunter, so daß sich ein unheilvoller roter Fleck auf dem Tischtuch ausbreitet, während sie ihren Gedanken beendet: »Für alles. Ich meine wegen Mac und so. Aber auch für die Erde – dafür, daß du die Erde liebst. Und die Tiere.«
Sie haut ab, darauf läuft das alles hinaus. Okay, gut so. Uns bleiben noch neunundzwanzig Tage, um uns einen neuen Platz zu suchen, und die Verwalterin – eine schmächtige, boshafte Frau in einem schwarzen Schlauchkleid, das aussieht, als hätte sie es ganz hinten in einem Surferladen gefunden – hat schon ein Dutzend Leute angekarrt, die das Haus methodisch durchackern, um Macs gewaltigen Besitz von Ausstellungsobjekten, Schmuckstücken, Kunstgegenständen, Möbeln und Les-Paul-Gitarren zu katalogisieren. Ich bin erleichtert, ja wirklich. Und ich sage kein Wort.
April Wind angelt den Blumenkohl aus dem Wein, schiebt ihn sich in den Mund und klappert müßig mit der stumpfen Klinge ihres Buttermessers auf dem Rand des Glases herum. Der Weinfleck hat inzwischen eine definitive Form angenommen, etwas Wiedererkennbares, wie der Grabtuchabdruck des Antlitzes Christi oder der Kopf von Picassos Weinender Frau , aber ich kann es nicht benennen. »Ich gehe nach New York«, sagt sie und ist total hin und weg bei dem Gedanken, »mit Ronnie. Er läßt mich um eins mit dem Wagen abholen.« Eine Pause. »Ich treffe da meinen Koautor, wißt ihr, das ist übrigens der Ghostwriter, der das Buch über Gwyneth Paltrow geschrieben hat. Und ich soll in der W es Starkey Show auftreten und so...«
Ich weiß nicht, ob ich ihr gratulieren oder mein Beileid aussprechen soll, also nicke ich nur, süffle meinen Wein und frage mich, wieso ich mich gerade jetzt älter fühle, als jeder Babyboomer hätte hoffen oder erwarten
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