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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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unter die Nase reibt).
    Als sie sich wieder umdreht, läßt sie das Blatt zu Boden fallen und betrachtet mich lange, als ob sie gerade eine Entscheidung trifft. »Ich weiß, wo wir hinkönnen«, sagt sie schließlich, und der Plural läßt mir das Herz hüpfen: klar, wir stehen das hier gemeinsam durch, oder?
    »Wohin?«
    »In die Hütte von Ratchiss.«
    Ich brauche einen Moment. »Ist der nicht tot?« (Es ist eine rein rhetorische Frage – oder eine strategische. Tatsächlich ist Ratchiss schon vor über zwanzig Jahren gestorben, ein Opfer der Natur und seines frevlerischen Sinneswandels. Angesichts der meteorologischen Katastrophen um die Jahrtausendwende war er anscheinend wieder auf die Jagd gegangen und hatte alles andere aufgegeben. Was soll’s, hatte er gedacht und sich in den Kopf gesetzt, als Vollstrecker der Ausrottung einer bestimmten Art, deren Schicksal ohnehin am seidenen Faden hing, in die Geschichte einzugehen. Er wählte den kalifornischen Condor, von dem damals gerade noch einhundertzehn Exemplare existierten, darunter rund fünfzig, die aus einem Nachzuchtprogramm des bald darauf aufgelösten Zoos in L.A. stammten und einfach ausgesetzt worden waren. So wie es mir zu Ohren kam, schoß er zwei von ihnen ab, als sie hoch oben über den einsamen Hügeln des Sespe Wildlife Area ihre Kreise zogen, und wollte gerade nachladen, um noch mehr zu erwischen, als einer der getroffenen Vögel aus dem Himmel niedersauste, mausetot und ausgerottet, und ihm mit der Wucht eines nassen Sonnenschirms, der über eine Klippe fällt, auf den Hinterkopf krachte. Er kam nicht wieder zu Bewußtsein.)
    Sie schürzt die Lippen und wirft mir diesen Blick zu, der früher Löcher in Rassisten, Umweltsünder und deren Schergen gebrannt hat. »Ja«, sagt sie, »er ist tot. Aber seine Hütte gibt’s noch.«
    »Aber wir können doch nicht einfach... Wer wohnt jetzt dort?«
    Sie starrt in die Ferne, zweifellos zerteilt sie mit ihrer chirurgisch verstärkten Sehkraft die einzelnen Haare von Kurt Cobains Locke. »Niemand. Er hat sie E.F.! vererbt, also uns, und als ich das letztemal nachgesehen habe, war niemand dort.«
    »Aber können wir da einfach einziehen, wirklich?«
    »Hast du einen besseren Plan?«
    »Was ist mit Geld, mit Essen? Wir können schließlich nicht von Tannennadeln und altem Laub leben. Ich hab nicht mehr als fünfzehnhundert Mäuse auf der Bank – falls es die Bank überhaupt noch gibt.«
    Und hier ist ihr Lächeln, breit und aufblühend, der Brennpunkt dieses nackten Körpers einer jungalten Lady. »Wir haben ein paar Sachen verkauft«, sagt sie, »April und ich.«
    Ich bin schwer von Begriff. Ich geb’s ja zu. Langsam und verwirrt und alt. »Was für Sachen?«
    Das Lächeln erblüht weiter, bis es leicht zu welken beginnt und sie kurz wegsieht, ehe ihr Blick mich wieder erfaßt. »Och, ich weiß nicht«, sagt sie und nickt dabei in die Richtung von Kurt Cobains Locke, ohne mich aus den Augen zu lassen, »nennen wir sie Reliquien.«
    Die Temperatur muß noch um einige Grade gestiegen sein, als ich wieder zu Chuy hinauskomme. Die Hitze ist wie eine Faust – zwei Fäuste, bamm-bamm, trifft es mich in Brustkorb und Becken, daß ich kaum die Füße heben kann, und eines sage ich euch: der Wind ist keine Hilfe. Er bläst nur mit etwa Stärke 3, nichts im Vergleich zu dem, was uns in den nächsten Monaten bevorsteht, denn dann heizt sich das Land auf und die Stürme pfeifen aus der Wüste herüber, trotzdem ist der Boden beständig in Bewegung, überall kleine Windhosen, heiße Körnchen von aufgewirbeltem Staub verkleben mir die Nase und brennen in der Kehle, und die zerfledderten Bäume schleudern ihre Kronenreste mal hierhin, mal dorthin. Normalerweise würde ich um diese Jahreszeit eine Atemmaske aufsetzen, aber nach dem Mucosa-Fiasko halte ich den Gedanken nicht mehr aus, mir noch mal irgendwas auf den Mund zu pressen (außer vielleicht Andreas süße, samtene jungalte Lippen, und auch das höchstens einmal pro Woche), also spanne ich nur das Gesicht an, kneife die Augen zusammen und stolpere vorwärts.
    Chuy sieht aus wie auf dem Grill gegart. Seine Haut ist voller Pusteln, schlechte Farbe, und die Kleider glänzen dermaßen vor Schweiß, als wären sie in Olivenöl getaucht worden. Er hat es geschafft, vier Pfosten einzubetonieren, einen für jede Ecke des Geheges, das er sich in seinen ruinierten Gehirnwindungen vorstellen kann, aber er hat Probleme mit dem Synthetikbrett, das er an die Pfosten annageln

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