Ein Freund der Erde
hingen an den Schultern von alleinerziehenden Vätern, als fehlten ihnen nur noch Steigeisen und Kletterseil, Kosmetikberaterinnen flennten zu den dröhnenden Hits der Sechziger, Aerobiclehrerinnen reckten ihre strammen Hinterteile rund um den Billardtisch, aber keine von ihnen hatte Zeit für Tierwater. Er war depressiv, und er trug seine Depression wie einen Lampenschirm auf dem Kopf.
Dann aber griff das Schicksal ein. (»Wir werden um und um gewirbelt in dieser Welt wie das Gangspill dort, und das Schicksal ist die Spake.« Ich weiß zwar nicht genau, was eine Spake ist, aber das Zitat gefällt mir, und Melville hat recht, vor allem wenn eine Spake etwas ist, daß man jemandem in den Hinterkopf rammen kann.) Ohne viel darüber nachzudenken, hatte Tierwater irgendwann einen Scheck an die Naturschützer vom Sierra Club geschickt, Mitgliedschaft für einJahr. Bevor seine Eltern starben – sie standen gerade an der 44sten/Ecke Lexington im Stau, als ein Baukran beim Hochziehen mehrerer Stahlträger vor der Schwerkraft kapitulierte –, war er einem Abschluß in Wildbiologie hinterhergewesen, nachdem er in seinen drogenumnebelten Tagen das Studium zweimal abgebrochen hatte, und so war die Natur irgendwie schon immer ein Blinklicht am Horizont seines Bewußtseins gewesen. Diese kleine Geste, die Geldzuwendung für gute Zwecke, war eine Art Heftpflaster, das er über den riesigen klaffenden Krater in seiner Seele klebte, und er wußte das, aber so war es nun einmal. Er war jetzt Mitglied im Sierra Club. Und als Mitglied wurde er auf einen Postverteiler gesetzt, der ihn zum Bezug wahrer Kordilleren von Reklamesendungen berechtigte – von wegen Papiersparen –, so wurde er, unter vielem anderen, dazu eingeladen, Versammlungen zu besuchen, mit den Delphinen zu schwimmen, die Wale zu retten und an den Himalaya zu denken. Er hatte Schuldgefühle, doch kam er keiner dieser Aufforderungen zu edlem Tun jemals nach, und schlimmer noch: er brachte keinen Fetzen davon je in den Altpapiercontainer.
Dann rutschte eines Tages aus dem Stapel von Rechnungen, Briefen, Einladungen, Mahnungen, Unverschämtheiten, Ersuchen und Drohungen, die seine Sekretärin ihm jeden Tag auf den Schreibtisch lud, eine Postkarte heraus. Darauf war ein Logo, das er noch nie gesehen hatte – ein blutroter Kreis mit einer gereckten Faust darin (zuerst dachte er, es sei von den Black Panthers – aber waren die nicht alle entweder tot, im Gefängnis oder Pächter von Nike-Sportgeschäften?). Sie kam nicht von den Black Panthers. Sie kam von E.F.! – Earth Forever! – und enthielt eine Einladung zu einen Pow-wow/Chili-Wettkochen/Apokalypse-Vortrag/Diaabend im Haus von Linda d’Piqua-Hoover in Croton. Er drehte die Postkarte um. Sehr geehrte(r) Mr. oder Ms. Tierwater , stand dort, sind Sie an unserer Umwelt interessiert? Machen Sie sich Sorgen, weil unsere Wälder vergewaltigt, unsere Bäche und Flüsse verpestet, die einsamen Seen in den Adirondacks vom sauren Regen vergiftet werden? Haben Sie die leeren Versprechungen satt? Reicht es Ihnen allmählich? Sind Sie für echte Aktionen bereit? Dann kommen Sie zu unserem usw.
Er ging hin. Warum? Langeweile, Neugier, der Wunsch, die Sherrys dieser Welt hinter sich zu lassen und ein paar umweltbewußte Frauen kennenzulernen, die vielleicht Lust darauf hätten, mit ihm eine Gourmet-Trockenmahlzeit und einen Schlafsack am Ufer irgendeines umgekippten Sees zu teilen. Und mehr noch – das wollte er keineswegs herunterspielen –: weil er an die Sache glaubte. Das tat er. Ganz aufrichtig. Er brauchte eine Erweckung, ein Anliegen, einen Ruf zu den Waffen – und da war er.
Am Abend der Veranstaltung fiel Regen, ein kalter, seelenloser Winterregen, der den Himmel auswrang wie einen alten Lappen und einem in die Schuhnähte und unter den Jackenkragen kroch. Er trat aus seinem Büro in eine Welt hinaus, in der jede Spur von Licht erbarmungslos gelöscht, der Mond getilgt und das Firmament verschleiert worden war – keine Helligkeit ohne Elektrizität, und elektrische Lampen erhellten ihm den Weg vom Büro zum Parkplatz. Der Wagen selbst war eine eigene Umwelt, eine Art rollender Sarkophag. Er spie seine Abgase in die Luft, spotzte und vibrierte, verströmte den Gestank nach erhitztem Metall. Hinter den regenschlierigen Fenstern lag sein Einkaufszentrum – das Copper Beech Shopping Center –, in die mörderische Nacht geschmiegt wie die Architektur seiner Alpträume. Er saß da und atmete das Kohlenmonoxid ein,
Weitere Kostenlose Bücher