Ein Freund der Erde
stundenlang, wie es ihm vorkam – sah und hörte er aus der Ferne das Durcheinander vor dem Krankenhaus mit an. Das Heulen der Sirenen, laute Stimmen, wuselnde Aktivität, in deren Zentrum zwei Streifenwagen standen. Doch erst als der Hundeführer eintraf und das eifrige, lustvolle Gebell des Polizeihunds durch das Gestrüpp zu ihm drang, entwickelte Tierwater einen Plan. Er würde nicht zulassen, daß dieses Tier durch die Büsche brach, um ihn am Fuß zu packen und gewaltsam ins Freie zu zerren, wo ein Lokalreporter zur Erbauung der Holzfällerfamilien ein paar Actionfotos von seinen strampelnden Beinen und seinem nackten Hintern knipsen würde. Nicht zu machen. Das war einfach kein passendes Szenario. Abgesehen davon hatte er Hunger, Durst, einen Sonnenbrand und alles satt. Er hatte klargestellt, worum es ihm ging. Genug war genug. Er stand auf und schwenkte die Arme. »Hier drüben!« rief er.
Jetzt wurden die Dinge erst richtig interessant. Der Hund zerrte einen Bullen hinter sich her, der Sheets’ Bruder hätte sein können (dünn wie ein Schreitvogel, ein Stengel von Arm am Ende der Leine), und zog eine Riesenshow ab, ungebändiges, ja hysterisches Gebell. Dicht hinter Hund und Hundeführer drängte sich der unvermeidliche Reporter heran und ließ bereits die Kamera aufblitzen. Es war eine Reporterin, eine kleine Blondine mit Ponyfrisur in kurzem Röckchen und Turnschuhen, und Tierwater versuchte sich unwillkürlich das Haar glattzustreichen und vielleicht sogar ein Grinsen für sie aufzusetzen. Bitte recht freundlich. Hinter ihr folgte Sheets, geknickt dreinblickend, und dann der heranstampfende, massive, wutschnaubende Sheriff Bob Hicks persönlich.
Der Hund wurde ermutigt, sich ihm zu nähern und nach seinen Knöcheln zu schnappen, ohne freilich dabei beweiskräftiges Blut spritzen zu lassen, die Bullen zogen pflichteifrig Dienstwaffen und Handschellen hervor, und man führte Tierwater aus dem Gebüsch über den Parkplatz, wo das Barfußgehen schmerzhaft war. Eine Menschenmenge war versammelt und sah zu, wie der Sheriff seiner Pflicht nachkam, indem er den überwältigten und gefesselten Desperado auf den Rücksitz des Streifenwagens schob – Publicity, dafür haben wir es doch getan , sagte sich Tierwater immer wieder und versuchte so, die Niederlage in einen Sieg, Demütigung in Triumph zu verwandeln, aber er war halb nackt, sein Haar zerwühlt, und er fühlte sich so gar nicht als Kreuzritter, eher wie eine Gestalt aus einer Opera buffa.
»Rein mit dir, du Arschgesicht«, sagte der Sheriff halblaut, während er die breite Hand auf Tierwaters Kopf spreizte und ihn in den Wagen zwang, wo ihm Deputy Sheets schon erwartete. Einen kurzen Moment lang, in dem sein Verstand völlig vernebelt war, dachte Tierwater daran, die Tür wieder aufzutreten und irgendwie davonzuhinken, denn die ganze Sache hier war ja der reinste Wahnsinn – ein friedlicher Protest, und was hatte sich daraus entwickelt? –, und es tat ihm im Herzen weh, denen die Genugtuung zu verschaffen, ihn derartig niederzuwerfen. Lieber sterben, als sich beugen. Der Unterkiefer tat ihm weh, so sehr biß er die Zähne zusammen. Er schwitzte. Sein Herz pochte, sein Blick schweifte wild umher, er hatte Zweige, Samenkörner und Kletten im Haar. Tritt gegen die Tür! brüllte eine Stimme in seinem Kopf. Tritt gegen die Tür!
Er trat nicht. Das brauchte er gar nicht. Andrea war da – Andrea und ein Rechtsanwalt mit Bart und Aktentasche – und Teo auch, der ihnen auf Krücken folgte. »Wir wollen seine Kaution aufbringen«, sagte Andrea, und durch das Fenster des Polizeiwagens sah Tierwater die geflügelten V-Fältchen auf ihrer Stirn.
Sheriff Bob Hicks tat sehr amtlich, als er vorne um das Auto herumging, nachdem er die hintere Tür zugeknallt hatte wie einen Sargdeckel. Er stieß ein kurzes, höhnisches Gebell von Lachen aus. »Kaution? Ist noch keine festgelegt – er ist ja noch nicht mal dem Haftrichter vorgeführt worden.«
Der Anwalt wurde höchst aufgebracht und konterte mit etwas, was Tierwater nicht hören konnte. Andrea bückte sich, um durchs Fenster hereinzusehen, und Tierwater der Desperado preßte die Finger gegen das Glas, es war wie im Film, genau so – Besuchstag im Zuchthaus, die Zeit ist vorbei, Jungs, hier geht’s raus, die Damen. Sie sagte irgend etwas, ihre Lippen bewegten sich, der Polizeihund bellte vor Freude am Bellen, die Menge johlte, irgendwas über Sierra...
»... zu krank für eine Gefängniszelle?«
Weitere Kostenlose Bücher