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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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das durch die Bodenplatte drang, bis sein Oldtimer, ein 1966er Mustang, sich erweichen ließ, ohne Aussetzer anzufahren, und dann war er endlich unterwegs, donnerte durch die Schlaglöcher dahin wie ein Herrscher über Natur und Maschine zugleich.
    Er vollführte eine wilde Serie von Manövern, bog falsch ab, wendete mitten auf der Straße und ließ im Rückwärtsgang den Kies aufwirbeln, während er immer wieder auf die Karte sah, die hinten auf der Einladung abgedruckt war, bis das D’Piqua-Hoover-Haus am Ende einer dunklen Straße auftauchte, strahlendhell wie eine Supernova. Davor parkten massenhaft importierte Autos, elegant und bedrohlich in ihren stählernen Häuten. Der schwarze Rasen glitzerte im Licht von hundert hellen Fenstern. Seine Füße fanden den steinernen Weg, und dann begrüßte ihn eine großgewachsene Frau an der Tür, die posthippiemäßige Birkenstock-Sandalen trug: Wie nett von ihm, daß er gekommen war, und kannte er schon Mrs. Soundso, Vorsitzende dieses oder jenes Komitees? Er ergriff Mrs. Soundsos schlaffe Hand – sie mußte um die Siebzig sein – und bahnte sich dann einen Weg zur Bar; die Gerüche von brennenden Holzscheiten, Körperwärme, Parfum und miteinander wetteifernden Chiligerichten umfingen ihn, als er in die Menge eintauchte. Ein Mann mit Kummerbund und Fliege reichte ihm ein Glas Wein. Er wollte eigentlich Scotch. Aber er nahm den Wein, nippte daran und orientierte sich einen Moment lang.
    Dabei sah er zum erstenmal Andrea. Sie stand in der Ecke, über eine Schale mit Joghurt-Dip gebeugt, ein paar Karotten und Brokkoliröschen in der Hand, Gesichter um sich scharend wie eine Puppenspielerin. Ihre freie Hand (unberingt, die Haut rissig, die Nägel zu durchschimmernden Streifen heruntergekaut) war ständig in Bewegung, um jeden Merksatz, den sie verkündete, zu unterstreichen, und sie verkündete eine Menge Merksätze. Sie sprach lebhaft und selbstbewußt, hielt einen Vortrag, allerdings konnte er von dort, wo er stand, die Nase in ein langstieliges Glas gehängt, kein Wort verstehen. Er mußte sie volle fünf Minuten lang betrachtet haben, nur Bild, den Ton weggedreht, ehe er plötzlich auf sie zuging – und es war kein bewußtes Gehen, keineswegs; eher in der Art, wie eine Motte einer Pheromonspur folgt. Er flatterte mit den Flügeln und segelte durch den Raum.
    (Ich muß sie mal beschreiben, so wie sie damals aussah – nicht wie heute mit diesem schwarzgefärbten Haar, das ganze Für-eine-Siebenundsechzigjährige-sieht-sie-ja-noch-verdammt-gut-aus und so weiter, was der zweimal gebrannte Revisionismus eines alten Mannes eben so vermerkt –, weil man das eigentlich selbst erlebt haben muß. Seid dabei. Betretet den Raum, spürt die Hitze des großen Hardwood-Feuers, das die Luft karbonisiert, riecht das brodelnde Chili in den Töpfen und den Geruch des Diaprojektors nach verbranntem Staub, atmet das Kaffeearoma ein – koffeinfrei und Espresso – und das Parfum von vierzig Frauen, die den Eindruck vermitteln wollen, als verströmten sie nichts weiter als den Duft, mit dem sie geboren wurden. Das Schlüsselwort lautet hier »natürlich«. Ernsthaft. Engagiert. Und wie ging der Witz noch schnell: Was ist ein Umweltschützer? Einer, der sein Häuschen in den Bergen schon hat.)
    Sie warf ihm einen Blick zu – nur das allerkürzeste Huschen ihrer Augen – und ließ ihn damit in ihren Zirkel ein. Sie redete über das Holzfällen im Westen, über irgendeinen Wald in Oregon, von dem er noch nie gehört hatte, wo uralter Bewuchs zerstört wurde, zum Heulen für die Tiere, zum Heulen für die Erde. Er hörte nicht hin. Jedenfalls nicht genau. Er war viel zu beschäftigt damit, sie zu betrachten, ihre Lippen und die Intensität ihrer Augen zu genießen, versuchte ihren Code zu knacken und sich zu eigen zu machen. Sie kam ihm vor wie eine Stahlarbeiterin oder eine Glasbläserin, auf ihrem Gesicht schimmerte einLicht, das von einem Ort knapp unter dem Kinn auszugehen schien, das Licht gehämmerter Barren, geschmolzenen Quarzes, reinsten Feuers, und ihre Hände waren groß und männlich – Hände, die Dinge getan, Aufgaben vollbracht hatten, die Hände einer Aktivistin , sagte er sich, während er das Weinglas umklammerte und noch näher trat, von der Romantik der Szene bereits vollends überwältigt: Die Welt retten, na sicher, und dazu noch ne Nummer schieben.
    Ihr Haar war blond – damals und während der ganzen Zeit, die er sie kannte, bis auf jene besonderen Anlässe, als

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